Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Ein Jahr Relotius-Affäre

Integrität lässt sich nicht überwachen

18.12.2019

Am Donnerstag jährt sich der Tag, an dem der "Spiegel" den Fall Claas Relotius öffentlich machte. Der "journalist" und auch andere Medien ziehen aus diesem Anlass Bilanz:

Die aktuelle Ausgabe des "journalist". Foto: Screenshot www.journalist-magazin.de.

Was hat sich verändert durch die Relotius-Affäre? Welche Konsequenzen wurden gezogen? Wo sieht die redaktionelle Überprüfung von Berichten heute anders aus als noch Ende 2018? Tiefgreifende Reformen gab es vor allem dort, wo Redaktionen selbst Opfer von Betrug geworden sind, sei es nun durch Relotius oder andere Journalisten. Das Netz ist in vielen Häusern engmaschiger geworden. Undurchdringlich aber ist es nirgendwo. Ein neuer Fall Relotius ist unwahrscheinlicher, immerhin.

 

Allerdings ist der Typ Relotius vielleicht auch gar nicht die größte Bedrohung für den Journalismus. Juan Moreno kommt in seinem Buch zu dem Schluss, Relotius sei vielmehr ein notorischer Lügner, der im Journalismus gearbeitet hat, als ein Journalist, der gelogen hat. Von letzterem Typ geht aber die größere Gefahr für die Glaubwürdigkeit der Medien aus, weil es ihn erheblich öfter geben dürfte. Sein Verhalten ist plausibler, die Schwelle niedriger; die Grenzüberschreitung als Ausnahme wahrscheinlicher als das pathologisch anmutende Dauer-Fabulieren eines Relotius.

 

Verhängnisvoll in ihrer Summe sind die unter Druck entstandenen Zuspitzungen, Übertreibungen und Behauptungen auf Grundlage dünner Fakten, die fantasievollen Szenenbeschreibungen, die es nur der Ästhetik halber in den Text schaffen. Die vereinzelte kleine, wie auch immer begründete Lüge können auch sehr hohe Redaktionsstandards nicht zuverlässig aufdecken. Hier kommt es deshalb auf die Integrität der Autorin und des Autors an, nie der Versuchung nachzugeben. Das kann auch mal mühsam sein, persönlich unangenehme Konfrontationen bedeuten. Journalistinnen und Journalisten stellen an sich selbst und an ihre Kollegen hohe moralische Ansprüche. Umso mehr schmerzt es, wenn diese verraten werden - auch noch ein Jahr danach.

 

Ein Kommentar von Sebastian Huld.


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