Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Berufspraxis

Gefahren bei Interviews mit Russlandbezug

02.12.2014

Eine Herausforderung für den freiheitlichen Journalismus, meint unser Autor


Kürzlich bekam ich einen Anruf von einem Journalisten einer bekannten Rundfunkanstalt: „Herr Alexandrowitsch, wir würden gerne ein Interview mit Ihnen führen!“

Ich sagte nichts dazu, dass mich der Anrufer mit meinem Vaters- statt mit meinem Nachnamen ansprach, sondern rätselte, zu welchem spezifischen Thema ich sprechen sollte, denn als Allround-Journalist bin ich sozusagen Experte für alles (außer Mathe) und beherrsche auch alle Stilformen (außer Präzision).

„Grundsätzlich gerne, aber ich frage mich, warum Sie gerade mich befragen wollen“, gab ich zurück.

„Wir interviewen gerne Journalisten“, erklärte der Anrufer, „wissen Sie, Journalisten können Sachverhalte gut auf den Punkt bringen, sie kommen viel herum und haben immer eine Anekdote zu erzählen. Das ist viel besser als irgendwelche Fachleute, die vor lauter Spezialbegriffen herumstottern und am Ende auch noch Grüße an die Familie in die laufende Kamera rufen! Und im Übrigen…“, die Stimme meines Gesprächspartners wurde geradezu konspirativ leise, „wissen Sie, eigentlich interviewen wir nur Journalisten. Ausschließlich. Wir sind schon seit langem zur Erkenntnis gelangt, dass die einzigen Menschen, mit denen man wirklich sprechen kann, Journalisten sind! Achten Sie einmal auf unsere Talkshows! Da sitzen im Prinzip auch nur Journalisten als Gäste, und Leute aus dem RL, dem so genannten ‚Richtigen Leben‘ werden dort nur zur Deko eingesprenkelt!“

Die Argumentation überzeugte mich (natürlich auch das nicht unerhebliche Honorar als Diskussionspartner), und wir vereinbarten einen Termin. Als der Tag gekommen war, hatte ich meine ganze Wohnung auseinandergenommen, von oben bis unten geputzt und etwa 25 leere Packungen Fertig-Pizza rausgebracht, alles war picobello. Denn für so ein Fernsehteam, sicherlich zehn Leute von Reporter bis zur Visagistin, da muss man Eindruck schinden, man weiß ja nie, ob man bei einem solchen Date persönliche Kontakte schmieden kann! Als es dann an der Tür klingelte, stand allerdings nur ein Mann vor mir, mit einer recht kleinen Kamera. Als ich ihn enttäuscht fragte, wo der Rest der Truppe sei, hieß es: „Ich bin Vidschääjh. Videojournalist, wir machen alles alleine“.

So saß ich also dem Journalisten gegenüber, an seiner Seite die Kamera auf dem Stativ. Er begann ohne Umschweife mit den Fragen: „Wie ist das eigentlich für Sie als Russen jetzt so in Deutschland, mit all den Konflikten?“

Ich stutzte: „Also ich bin Deutscher, schon seit über zehn Jahren!“ Ich zog meinen Pass aus der Brieftasche und wedelte damit vor seiner Nase. Der Journalist schnitt eine Grimasse, als hätte er es mit einem Kind zu tun: „Naja, Sie verstehen schon was ich meine. Also, ich meine, Sie sind ja jetzt nicht so ein, sagen wir mal, Kerndeutscher, oder…“, er unterbrach sich, als sei ihm sein Ausdruck peinlich, „also ich will jetzt nicht missverstanden werden, also Sie wissen, was ich meine, also so ein Deutscher, der hier schon lange Zeit…“ – „Ich bin möglicherweise schon länger in Deutschland als Sie auf dieser Welt“, gab ich ein wenig pikiert zurück. Mein Gegenüber lief ein wenig rot an und zeigte jetzt ein wirkliches Grinsen: „Ja, ja, ich verstehe schon, aber ich meine so, Sie sind ja sozusagen Deutscher mit einem russischen Migrationshintergrund – und andere Deutsche sind das nicht!“ – „Ja, die kommen aus Ostpreußen, Siebenbürgen, der Türkei oder dem Schwabenland!“, warf ich ein, um dann schließlich resigniert zu murmeln: „Ist gut jetzt, ich weiß, was Sie meinen!“ (Mir war gerade eingefallen, dass mein Honorar als Diskussionspartner in Gefahr geraten konnte).

„Sehen Sie!“ rief mein Interviewer jetzt geradezu triumphierend. „Also, wie ist das so?“ – „Es geht, es geht. Also niemand wirft mit Steinen nach mir, ich werde auf der Straße nicht angerempelt, und wenn ich beschimpft werde, dann als Scheißdeutscher, weil in meinem Hochhaus halt einige hormonüberfüllte Jugendliche aus südlichen Ländern leben, die mich mit Deutschen verwechseln!“

Der Interviewer seufzte und machte einen weiteren Anlauf: „Aber Sie schreiben doch sicherlich für russische Medien, wie geht es Ihnen da?“

„Für russische Medien?“ Ich kratzte mich am Kopf. Der Mann hatte offenbar von Ökonomie keine Ahnung. „Also ich arbeite zu 99 Prozent für deutsche Medien, denn in Russland haben die Zeitungen und Zeitschriften kaum Geld, von Online-Medien ganz zu schweigen. Wenn ich aber mal für russische Medien arbeite, dann sind die Kontakte normal, manchmal auch herzlich!“ Ich dachte an Viktor, den struppigen Redakteur der Literaturzeitung **, an Kyrill, den Chefredakteur der Online-Postille ***, mit dem ich beim letzten Besuch in Moskau im Keller des „Kitschkock“-Clubs versunken war, mit ganz schemenhaften Erinnerungen. Natürlich dachte ich auch kurz an Stanislaw, der früher im Komsomol ganz oben gewesen und jetzt Moderator beim Sender ***** ist, einen kompletten Vollpfosten, aber zu dem hatte ich seit zwanzig Jahren keinen Kontakt mehr.

„Also arbeiten Sie für Russland!“ rief mein Gast geradezu begeistert. „Also Staatsmedien oder solche PR-Beilagen wie Russland Heute, die für den russischen Staat werben?“ – „Dem Staat gehören die nicht oder nicht direkt, da sind irgendwelche Holdings, denen so etwas meistens gehört. Was PR-Arbeit angeht, die mache ich nur in Deutschland, beispielsweise ab und zu was so eine Informationsschrift zur Völkerverständigung für das Bundesministerium für Bildung, also das deutsche Bildungsministerium.“

„Ah, das deutsche Bildungsministerium“, mein Gesprächspartner blickte mich etwas freundlicher an. „Wenn Sie jetzt aber Kontakt zu russischen Journalisten haben, verspüren Sie da so ein Gefühl, dass Sie manipuliert werden? Dass die Ihnen etwas einreden wollen, ich sage mal so, nach der Methode von Scientology und Rechtsextremen, so unter der Hand?“ Ich dachte an Viktor, an Kyrill, bei denen es wenig um Einreden, mehr um das Einschenken von alkoholischen Getränken ging, und das schon um 9 Uhr morgens. Bei Stanislaw konnte ich ja von Kontakten nicht berichten, außerdem war der so simpel gestrickt, dass der vermutlich nicht einmal ein Borschtsch-Glas manipulieren konnte. „Das kann ich für meine Kontakte nicht so bestätigen.“

„Können Mitarbeiter russischer Medien wie RT, Russia Today, überhaupt als Journalisten bezeichnet werden“, bohrte der Interviewer weiter. „Sind sie nicht eher Propagandisten für Putin und seine Oligarchen, oder anders gesagt, selbst Teil der herrschenden Kaste?“ Ich musste an Viktor und Kyrill in ihren schäbigen Vorortswohnungen denken, ihre stundenlangen Diskussionen über einzelne Formulierungen in meinen Beiträgen. „Also ich denke schon, dass die Kollegen ihre Arbeit machen! Und was gewisse andere Moderatoren in den großen Sendern angeht“, ich dachte wieder an Stanislaw, „so wird der redaktionelle Kurs natürlich im Sinne der Staatsmacht gefahren.“

„Also in der Tat keine Journalisten!“ rief mein Gesprächspartner begeistert.

„Warum sollten wir sie nicht Journalisten nennen? In gebildeten Kreisen gilt das doch ohnehin nicht als Kompliment!“

„Das bläst ja der Maus den Schnurrbart weg!“ tobte mein Interviewer, „Sie können doch nicht freiheitlichen Journalismus mit dem Journalismus einer Diktatur gleichsetzen!“

„Wäre es aber nicht Kennzeichen eines freiheitlichen Journalismus, sich mit Diktaturen selbstbewusst auseinanderzusetzen, durch Gespräche, Diskussionen oder auch Satire? Ihre Argumente aufzuspießen, eigene Medien entgegenzusetzen? Man könnte ja beispielsweise die Deutsche Wellle massiv ausbauen und so eine Art umgekehrtes RT machen, statt den deutschen Auslandsfunk wie derzeit systematisch auszuhungern!“ (Ich dachte dabei an eine ganze Kommentarstrecke, die mir dort erst kürzlich gestrichen wurde, es waren ganz ausgezeichnete Satiren, vor allem über die Medienwelt.)

Mein Gesprächspartner stieß einen seltsamen Ton aus, seine Augäpfel schienen aus dem Gesicht springen zu wollen, er lief rot an: „Ich verstehe, ich hätte es wissen sollen! Ich bin in die Falle geraten! Sie manipulieren mich gerade! Mit Ihrer geschickten Interviewtechnik versuchen Sie, in mein Gehirn einzudringen! Sie versuchen, mein Bild des Journalismus zu relativieren! Das sind Methoden des russischen Geheimdienstes! Das ist Putin pur!“

„Aber sind Sie es nicht, der mich interviewt? Und nicht umgekehrt?“

„Das spielt doch keine Rolle! Ich hätte mich nie auf ein Interview mit Ihnen einlassen sollen! Leute wie Sie gehören genau wie russische Machthaber und deren Sender einfach boykottiert! Sie drehen mir das Wort im Munde um, zerstören lauteren Journalismus…!“

Weiter ging es nicht. Mein Interviewpartner sprang auf, drehte einige Pirouetten, bei denen er mit den Armen um sich schlug, um dann bewegungslos auf dem Boden zusammenzusinken.

Nachdem ich mit einigen freundlichen Backpfeifen nicht weitergekommen war, fiel mir ein: Der Mann hatte vielleicht ein Trauma! Ich rief beim DART-Center für Deutschland an, einer Einrichtung, die sich um Traumatisierungen von Journalisten kümmert. Doch so ganz richtig war mein Vorgehen doch nicht: „Wir informieren und beraten nur, für akute Fälle müssen die Kollegen zum Therapeuten oder zum Arzt“, hieß es da.

Natürlich! Ich rief also den Notarzt an, aber der zeigte sich ungerührt: „Ein Journalist? Traumatisiert? Wegen Kontakt zu Russen? Das ist kein Grund anzurufen, davon haben wir zurzeit in der Woche Dutzende! Wecken Sie den Kollegen irgendwie auf, setzen Sie irgendetwas ein, das einen starken Eindruck produzieren kann!“

Ein starker Eindruck? Da fiel mir ein, natürlich, der von deutschen Journalisten am meisten gefürchtete Sender, der Online-Kanal von Russland, „RT Deutsch“! Ich schnappte mir mein iPhone, suchte die Seite und tippte auf eines der dort abgelegten Videos. Sofort begann die Stimme der RT-Moderatorin zu plappern, und ich hielt das iPhone an das Ohr meines Interviewpartners. Er wurde sofort wach, allerdings mit großen Augen. Diskret stellte ich RT wieder ab.

„Ich hätte niemals kommen dürfen“, stammelte er, während er Kamera und Stativ einpackte, „Russland und russische Medienmitarbeiter sind wie Syrien, wer dort hingeht, dem droht der Untergang!“ Und verschwand.

Das Interview wurde übrigens gesendet, also sagen wir ein Teil davon, und das wiederum als Teil eines Beitrags, der gar nicht von mir, sondern von Medien generell handelte, also genau genommen waren es einige Sekunden Filmaufnahmen von mir ohne Ton, mit einer Stimme im Off: „Russische Journalisten flüchten zunehmend ins Ausland und verwenden zudem nur noch satirische Formate, weil sie Repressionen fürchten, falls sie offen sprechen.“

Nun, ich beschwere mich nicht! So geht Journalismus, und mein Honorar habe ich auch bekommen. Leider hatte ich auch nicht, wie es heute bei Interviews unter Medienleuten üblich wird, das Interview meinerseits aufgezeichnet. Das bedeutet, dass die obigen Ausführungen nur eine Art persönliches Erinnerungsprotokoll darstellen. Die Juristen vom Journalistenverband (dem deutschen, nicht dem russischen) haben mir erklärt, der beste Schutz bestünde darin, weder den Namen des Journalisten noch den der Rundfunkanstalt zu nennen – und den ganzen Beitrag als Satire zu fassen. Denn, so wurde mir mit Hinweis auf Kurt Tucholsky erklärt:

„Satire darf alles!“


Alexander Alexandrowitsch Blog




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