Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Pro und contra Boulevard

Das Lagerfeuer lodert

02.07.2020

Was darf Boulevardjournalismus? Brauchen wir ihn überhaupt? Diese Diskussion zieht sich seit Langem durch Journalismus und Medien. Einen vorläufigen Höhepunkt bekam sie im Zusammenhang mit dem Virologen Christian Drosten und der Bild-Zeitung. An dieser Stelle wollen wir die Diskussion fortführen: mit einem Pro & Contra Boulevard. Den Anfang macht heute der Chefredakteur der Schwäbischen Post, Damian Imöhl. Hier sein Debattenbeitrag pro Boulevard:

Damian Imöhl. Foto: Schwäbische Post

Fangen wir mal kurz und knapp an: Ich liebe guten Boulevard! Immer noch. BILD-Junge durch und durch. Obwohl ich schon lange raus bin aus dieser etwas eigenen, schrägen Welt. Und das ist auch gut so. Denn es macht was mit einem, immer so nah und emotional dran zu sein. Ich wollte ins Lokale und Regionale, in dem man sich mit seinen Boulevarderfahrungen sehr wohl fühlen und vieles bewegen kann. Denn man muss auch dort mit den Menschen eng verbunden sein. Doch mal ehrlich: Was gibt es Echteres als handwerklich gut gemachten Boulevard? Seit der Steinzeit gilt: Menschen, Tiere, Sensationen. Eben das, worüber alle am Lagerfeuer sich aufregen, mit großen Augen staunen und herrlich drüber tratschen können. An den Themen, die uns alle bewegen, hat sich doch gar nicht so viel geändert seit den Feuersteins, oder? Und genau hier tummelt sich der Boulevardstil. Mit Straßenköterinstinkt stöbert er die Reizpunkte auf, die unser aller Gefühle in Wallung bringen. Gerne schrill und supersoft, aber sehr gerne auch knallhart. Handwerklich bitte 1a-Ware, weil man sich als Grenzgänger andauernd angreifbar macht. Und der springende Punkt dabei: Boulevard ist nicht Kammermusik, sondern Operette. Die Leute sollen lachen oder weinen – oder gar beides auf einmal oder hintereinander. Das ist der erste Anspruch: Unterhalten, Leute, unterhalten! Das Problem: "Seriöse Titel" (Ähem!) vergleichen BILD und die vielen Leichtbauweisen davon stets mit sich selbst. Und der Boulevard hat irgendwann mal angefangen, sich ebenfalls mit den ach so Tugendhaften zu messen. Das geht schief. Weil der Anspruch ein anderer ist – oder klassisch sein sollte. Über den Kopf ins Herz kommen – und jeden Tag zu einer Kaufentscheidung ohne Abo am Kiosk motivieren, das ist kein leichtes Unterfangen, sondern gekonnte, laute Arbeit. Eine Top-Boulevardstory war und ist immer auch eine gute Geschichte für alle. Weil sie einfach zwingend ist. Radau, Klamauk und Glamour sind andere Sujets. Der Boulevard ist das hässliche Entlein, das alle irgendwie mögen, weil es ein bisschen so ist, wie man selbst und immer kämpfen muss. Mag man die feisten Schwäne wirklich, die ach so sauber und stolz über den See gleiten? Aber: Auch Boulevard leidet unter massiven Qualitätsverlusten. Schon lange. Und schlecht gemachte Boulevardgeschichten haben eine enorme Fallhöhe. Neben Sparzwang eine Erklärung: Die Talente sind nicht mehr geworden. Ein Riesenapparat wie BILD sorgte früher mit seinem immensen Druck immer wieder für Diamanten, die dann auch die Schwäne brav nachdrehten. Aber diese wuchtigen Zeiten scheinen vorbei zu sein. Was nervt und Herzblut-Boulevardleute erschaudern lässt: das Unwörtchen "boulevardesk". Gruselig! Stümperhaft in Light-Version oder MacGyver-Manier Boulevard wie die Großen spielen – eben aber aus dem warmen Bürostübchen heraus. Mit größeren Buchstaben und "boulevardeskem Zinnober". Die Alchemie beim Bolzen von Reichweite. Klickt eben gut. Aber bloß nicht zu nah ran und raus auf die Straße – und bloß keinen fragen... Ich habe noch nie verstanden, warum eine abgeschriebene Presseerklärung sauberer Journalismus und geschenkte Opferfotos okay sind. Viele Vorwürfe gegen den Boulevard haben im Kern was mit eigener Feigheit zu tun. Damit, dass man sich vieles nicht traut, eigene Schwächen zur Tugend erhebt: "Wie kann man nur so schmuddelig...?" Wer nicht nur die eigene Blase kennt, wundert sich über so manchen Hieb gegen die Boulevardleute. In Reinform ist deren Arbeit sehr aufwändig und anspruchsvoll, weil man ALLES braucht für eine gute Boulevardgeschichte. Ein Anspruch, den alle haben sollten. Und ganz nebenbei: Wer sich traut und Menschen fragt, auch wenn's Überwindung kostet, kriegt meistens auch Antworten. Alte BILD-Reportererfahrung. Ein Kommentar von Damian Imöhl

Lesen Sie auch den Debattenbeitrag contra Boulevard von Steffen Grimberg.

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