Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Medienkritik

Unterste Schublade

21.10.2020

Die Medienkritik stellt immer wieder unter Beweis, dass die Niveaugrenze nach unten löchrig ist. Aktuelles Beispiel: Die Breitseite von "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt gegen die Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung.

Foto: SZ.de

Der kommentierende Bericht von Helmut Mauró in der Süddeutschen über den Pianisten Igor Levit hatte es in sich. Darin ging es weniger um Levits Klavierspiel, als vielmehr um sein Kommunikationsverhalten, insbesondere in den Social Media. "Opferanspruchsideologie" - das war der Begriff, der eine Protestwoge gegen die Süddeutsche in Bewegung setzte. Die Chefredaktion entschuldigte sich daraufhin für den Beitrag: "Viele unserer Leserinnen und Leser kritisieren diese Veröffentlichung scharf und sind empört. Manche empfinden den Text als antisemitisch, etliche sehen Levit als Künstler und Menschen herabgewürdigt. Auch er selbst sieht das so. Das tut uns leid, und deswegen bitten wir Igor Levit persönlich wie auch unsere Leserinnen und Leser um Entschuldigung."
Damit hätte es gut sein können. War es aber nicht, denn "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt sah seine Chance gekommen, öffentlichkeitswirksam gegen seine Amtskollegen in München auszuteilen: "Den beiden Chefredakteuren der Süddeutschen Zeitung, Wolfgang Krach und Judith Wittwer, muss man sehr dankbar sein. Sie haben im Umgang mit einem heiß diskutierten Feuilletonartikel um den Twitter-Einpeitscher, Menschenrechts-Aktivisten und Weltklassepianisten Igor Levit deutlich gemacht, wer das Blatt führt: Die Chefredakteure sind es eher nicht, sondern die Twitter-Brigade einer neuen linken Meinungsführerschaft, der sich nicht nur öffentlich-rechtliche Medien zunehmend beugen." Die Süddeutsche Zeitung erkenne man in dieser Entschuldigung als stolzes, liberales Blatt nicht wieder.
Wirklich nicht? Von welcher linken Meinungsführerschaft fühlt sich Ulf Poschardt verfolgt? Und heißt Standhaftigkeit für ihn, einen von manchen Lesern als antisemitisch empfundenen Text weiter so stehen zu lassen nach dem Motto: Das versendet sich? Wohl kaum. Im Gegenteil muss sich der "Welt"-Chefredakteur fragen lassen, ob sein Koordinatensystem ins Rutschen geraten ist. Konsequente Ablehnung des Antisemitismus gehörte mal zu den Grundprinzipien im Hause Springer.
Ein Kommentar von Hendrik Zörner


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