Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Gendergerechte Sprache

Was soll die Polemik?

15.06.2021

Brüder Grimm: maskuline Sprache. Foto: DJV

Über die Form der Gendersprache lässt sich durchaus trefflich diskutieren. Auch ich hoffe, dass Sternchen, Unterstrich oder ähnliche Vehikel zur gendergerechten Sprache nur eine Übergangslösung zu einer entsprechenden Sprachform sind. Schwierigkeiten beim Sprechen dieser Formen kann ich durchaus nachvollziehen.
Die explizite Nennung beider Geschlechter, gerade in audiovisuellen Medien, halte ich daher für eine akzeptable Zwischenlösung, beispielsweise Ärztinnen und Ärzte, statt Ärzt*innen.
Als promovierte Wissenschaftlerin und Journalistin, Regisseurin, Autorin und Produzentin fühle ich mich jedoch als Journalist und Wissenschaftler, als Regisseur, Autor und Produzent nicht angesprochen, sondern ausgeschlossen.
Daher irritiert es mich sehr, wenn Menschen in medialen Spitzenpositionen, vor allem des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sich generell und polemisierend gegen eine gendergerechte Sprache aussprechen. Erschütternd finde ich dies allerdings, wenn eine Frau sich derart in der Öffentlichkeit äußert, so wie Ute Wellstein, die Studioleiterin des Hessischen Rundfunks am 9. Juni in den Tagesthemen.
Wer sich an Sternchen und Unterstrich abarbeitet, hat weder die Problematik verstanden, noch Studien zum Thema gelesen und begibt sich auf ein gefährliches, rechtes Stammtischniveau, wo es viel Zustimmung für derartige Polemik gibt.
Dabei sollte gerade eine hessische Journalistin wissen, dass die deutsche Sprache weder Gott gegeben, noch der Natur entwachsen ist, sondern von hessischen Männern geprägt wurde: den Brüdern Grimm.
Die deutsche Sprache entstand in einem patriarchalischen System, in einer Zeit, in der Frauen weder studieren noch einen handwerklichen Beruf erlernen durften und auch in keine Kunstakademie aufgenommen wurden.
Die hessischen Märchenbrüder schrieben in jahrelanger Arbeit das deutsche Wörterbuch und vor allem darauf geht heute die gemeinsame deutsche Sprache und vor allem die Grammatik zurück. Bekanntlich war vor allem Jacob sowohl antisemitisch als auch ein erbitterter Feind der Emanzipation der Frau, was sich auch in eben diesem Werk widerspiegelt.
Darin schreibt Jacob Grimm über Frauen: "..frau ist als genoszin des mannes conjux, uxor, marita, gattin, gemahlin, gesetzlich angetraute, vermählte, ehefrau, ehegattin, eheschatz, eheliebste, wie der mann und gatte ehemann, ehegatte, ehegemahl, eheherr heiszt, lat. vir und uxor,…“  quasi ein Anhängsel des Mannes, so wie es sich im Wortlaut widerspiegelt. Zu Schriftstellerinnen äußert er sich in einer Rezension, dass Schreiben "wider der Natur der Frau wäre“ und "Weiber höchsten Kochbücher schreiben sollten“.
Wir führen eine Sprache fort, die von Männern mit einer derartigen Sichtweise geprägt wurde. Auf Worte folgen Taten, heißt es richtiger Weise und auf eine Sprache, die Frauen ausschließt, folgt eine Gesellschaft, die Frauen aus vielen Bereichen ausschließt und zum Anhängsel degradiert.
Als Kind sind Frauen sächlich: "das Mädchen“ und im Beruf ein sprachliches Anhängsel, mal abgesehen von "Schwester“. Aber wer dieses Beispiel ernsthaft als positiv bewertet, sollte dafür kämpfen, dass alle männlichen Pflegekräfte fortan "Bruder“ heißen.
Die deutsche Sprache bietet allerdings auch interessante Bezeichnungen, in denen das Maskulinum als Anhang steht. Beispielsweise "die Hexe“, das männliche Pendant ist "der Hexer“. Nun wären die Sprachwissenschaftler*innen gefragt, darüber nachzudenken, ob die Grundform zahlreicher Berufsbezeichnungen nicht geändert werden könnte. Dann wäre es "die Wissenschaftle“ und "der Wissenschaftler“ oder "die Handwerke“ und "der Handwerker“. Ob sich bei "die Handwerke“ auch alle Handwerker angesprochen fühlen würden, ist mehr als fraglich.
Für eine geschlechtergerechte Gesellschaft ist auch eine ebensolche Sprache essenziell. In einer modernen Demokratie sollte nicht mehr darüber diskutiert werden, ob eine geschlechtergerechte Sprache sinnvoll ist oder nicht, sondern nur noch in welcher Form sie am klügsten für die Zukunft ist.
Ein Kommentar von Ina Knobloch, Mitglied des DJV-Bundesfachausschusses "Chancengleichheit und Diversity"


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