Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Urheberrecht

Der Katastrophensommer für die freien Journalisten

15.07.2012

Alle reden über das Wetter. Wir auch, aber über die Großwetterlage.





Für die freien Journalisten ist 2012 ein Katastrophensommer. Nicht, weil zur Zeit das ausgelagerte Büro auf der Terrasse oder im Straßencafé eher zu Erkältungskrankheiten führen. Oder vielleicht nicht nur.

Es geht um das Urheberrecht und ihre Finanzen. Ein Stück in drei Akten. Vielleicht sogar vier.


1. Bundesgerichtshof unterstützt faktisch Verlegerklauseln

Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung hinsichtlich der Vertragsbedingungen von Axel Springer die Möglichkeiten von Verbänden eingeschränkt, gegen unfaire Vertragsbedingungen für freie Journalisten vorzugehen.

Nicht, dass es komplett unmöglich ist. Immer noch kann der DJV gegen unfaire Regelungen in Verträgen vorgehen, beispielsweise wenn sie unklare Regelungen enthalten oder von einigen Grundregeln des Zivilrechts abweichen. Dadurch lassen sich weiterhin einige fragliche Regelungen aus der Welt schaffen. Denn die Verbandsklage gegen unfaire Vertragsbedingungen von Freien an sich ist dem Bundesgerichtshof prinzipiell möglich.

In einer der wichtigsten Fragen jedoch hat der Bundesgerichtshof den DJV und damit auch die freien Journalisten gegenüber den Verlagen schutzlos gestellt. Er befand, dass per Verbandsklage nicht über die Frage entschieden werden könne, ob eine Vertragsbedingung gegen das im Urhebervertragsrecht seit 2002 festgeschriebene Prinzip der angemessenen Vergütung verstoße. Diese Frage könne nur anhand der jeweiligen Einzelsituation, insbesondere der Vergütung für den einzelnen freien Journalisten entschieden werden.

Verband darf nicht, der freie Journalist kann ja klagen gehen. So die optimistische Weltsicht des Bundesgerichtshof. Der mal wieder außer Acht lässt, was passiert, wenn freie Journalisten gegen ihren Verlag klagen: Dann sind sie draußen, erhalten keine weiteren Auträge mehr. Angesichts der Medienkonzentration in Deutschland läuft das in manchen Fällen auf betriebswirtschaftlichen Selbstmord hinaus. Will heißen: Finanziell ist es für viele Kollegen leider eher sinnvoller, viel zu schandhaften Vertragsbedingungen zu arbeiten und jedenfalls einiges zu verdienen, als gar nicht mehr arbeiten zu gehen und damit finanziell zu schanden zu gehen. Trotz allem geht es ohne Geld halt nur begrenzt.

Der Realitätsverlust beim Bundesgerichtshof ist die erste Sommerkatastrophe. Niemand wird gegen Verlage klagen, außer Rentner oder Leute, die ohnehin in andere Arbeitsbereiche aufbrechen wollen. Nur ein großer Verband hat die Möglichkeit, sich vor seine Mitglieder zu stellen und sie damit vor Sanktionen zu schützen. Mit seiner Absage an die Angemessenheitskontrolle unterstützt der Bundesgerichtshof praktisch das faktische Prinzip der unangemessenen Vergütung im deutschen Verlagswesen.


2. Wohlbestallter Richter kippt die Autorenzahlungen der VG Wort


Als hätten Juristen nicht schon genug Verdruss für die freien Journalisten gebracht, sorgte gleich anschließend ausgerechnet ein mutmaßlich wohlversorgter Richter dafür, dass die Sommerzahlungen der Verwertungsgesellschaft Wort gestoppt werden mussten. Der Richter, der auch Autor im Bereich des juristischen Handwerks* ist und dadurch auch Wahrnehmungsberechtigter bei der Verwertungsgesellschaft, klagte gegen die Regeln für die Geldverteilung durch die Verwertungsgesellschaft und hatte damit vor dem Landgericht München auch noch Erfolg. Sein Argument: Die Verwertungsgesellschaft kassiert Geld von Abgabeverpflichteten und verteilt es dann auf Grundlage von Verteilungsplänen an Autoren und Verlage, die aber nicht berücksichtigen, dass es Einzelverträge von Autoren gibt, die überhaupt keine Beteiligung von Verlagen an bestimmten Nutzungen regeln. Es wird also Geld an Verlage gegeben für Nutzungen, die ihnen gar nicht zustehen. Die allgemeinen Regeln der Verteilungsregeln sind daher Schmu und benachteiligen die Autoren. Folge dieses scheinbar schönen Urteils: Die VG Wort kann erst einmal nichts ausschütten, will sie sich nicht Regressansprüchen aussetzen. 

Zehntausende von Autoren und freien Journalisten schauen in die Röhre, bekommen dringend notwendiges Geld für Urlaub oder Heizkosten nicht (apropos Katastrophensommer), während der patente und über seine Richterbezüge mutmaßlich wohl- oder zumindest ausreichend versorgte Richter, der die Klage einreichte, wohl weniger finanzielle Sorgen haben dürfte und zugleich den Unschuldigen spielt: Er wollte ja nur noch mehr rausholen für die Autoren, so sein Argument. Nur deswegen ließ er die Verteilungspläne, die Autoren- und Verlegervertreter seit Jahrzehnten ausverhandeln, für ungültig erklären.

Der Richter, der in der einschlägigen Szene der Urheberrechtskritiker auch noch jede Menge Freunde hat, könnte mit seinem Vorgehen gegen die von ihm und seinen Parteigängern propagierte "Intransparenz" der Gremien der Verwertungsgesellschaft(en) dabei allerdings den Autoren den richtigen Bärendienst erst noch in Zukunft erweisen. Wenn die Verteilungspläne der Verwertungsgesellschaften nichts mehr pauschal regeln können, sondern jeden Einzelvertrag berücksichtigen müssen, dann können sie ihr Personal (und damit die Personalkosten) verzehnfachen und müssen wohl die nächsten Jahre erst einmal ein Archiv sämtlicher Verträge anlegen. Für die Kollegen ohne schriftliche Verträge müssten vielleicht noch Experten für "oral history" eingesetzt werden, die durch intensive Befragungen aller Beteiligter die Frage von Nutzungsabsprachen klären würden, was eher für die Verhundertfachung des Personals der Verwertungsgesellschaft spricht. Und dann könnte sich bei der Untersuchung herausstellen, dass - anders als der Richter es meinte - die Einzelverträge den Autoren einfach gar keine Rechte mehr lassen, also die Autoren in Zukunft weniger von den Verwertungsgesellschaften bekommen dürften. Chapeau.

Klar ist, der Richter hat´s wirklich gut gemeint, keine Frage, und mehr für Autoren wäre wirklich klasse. Nur gut gemeint ist manchmal nicht gut gezielt, vielleicht heißt es in Zukunft dann sogar weniger Geld, erst einmal aber gar nichts. Faktisch ist diese Enscheidung damit die zweite Katastrophe für die freien Journalisten in diesem Sommer.


3. Bundesregierung baut den Verlegern eine Leistungsschutzrecht-Bude

Ihre Amtszeit geht langsam zu Ende, und weil sie von den Medienverlagen wiedergewählt werden will, möchte die Bundesregierung ihr Wahlkampfversprechen aus dem Jahr 2009 so langsam einlösen (der Fairness halber: auch die SPD hatte es den Verlegern damals versprochen): ein Leistungsschutzrecht.

Über ein Leistungsschutzrecht gibt es viele Gerüchte und viele wirtschaftlich starke Gegner, wie beispielsweise die Firma Google, die noch nie so recht eingesehen hat, warum sie für die umfangreiche Nutzung der Urheberechte anderer oder sonstiges Material aus deren Betrieben irgendwie etwas Geld zu zahlen hätte. Im Internet geht es doch auch so.

Geld von Google zu holen ist an sich eine gute Idee, wenn es dann auch an die Autoren ausgeschüttet wird. Und wenn die Einführung eines neuen Rechts rund um die Leistungen und Werke von freien Journalisten nicht deren eigenes Geschäftsfeld einschränkt. Genau hier ist aber die Crux.

Zuständig für die Geltendmachung eines Verlegerleistungsschutzrechts sollen die Verlage sein. Nicht also freie Journalisten und Verlage oder eben, damit es einfacher geht, an ihrer Stelle eine Verwertungsgesellschaft. Ganz einfach nur die Verlage. 

Als Beruhigungstablette für die freien Journalisten heißt es dann im Referentenentwurf für das Gesetz, dass die Autoren an den Erlösen aus einem Leistungsschutzrecht angemessen zu beteiligen sind. Dieses Versprechen beruhigt nicht. Ganz im Gegenteil löst es Kopfschütteln aus, jedenfalls in dieser Konstellation. Heißt es nicht schon im Urhebervertragsrecht seit 2002, dass irgendetwas angemessen im Urheberrecht und den damit zusammenhängenden Verträgen sein soll? Haben nicht die Verlage dann nach langem Hin und Her so genannte Vergütungsregeln über angemessene Vergütungen mit den Berufsverbänden der freien Journalisten vereinbart, DJV und dju in ver.di?

Was war denn die Folge aus der Vereinbarung angemessener Honorare (die bekanntlich von der üblichen Schar stets gutmeinender Urheberrechtskritiker sogar für zu gering gehalten wurden)? Nicht mal diese über Jahre verhandelten Honorare wurden anschließend von den Verlagen umgesetzt, wenn von einigen mühsam im Einzelfall ausverhandelten Sonderfällen abgesehen wird. Einige, die es geltend machten, hatten Glück - bekamen die Honorare postwendend. Andere aber kassierten den Rauswurf. Letztere stehen klar für die Mehrheit. Die Versuche, die Vergütungsregeln Verlag für Verlag einzuführen, sind zäh und kommen kaum voran.

Wenn deutsche Verlage nicht einmal nach einem Gesetz über angemessene Honorare im Urheberrecht, nicht einmal nach jahrelangen Verhandlungen über angemessene Honorare und deren Abschluss daran denken, Vereinbarungen umzusetzen - wie könnte jemand noch glauben, dass die Verlage jetzt nach der Einführung eines Leistungsschutzrechts anders handeln?

Wer glaubt ernsthaft, dass freie Journalisten aus den Einnahmen der Verlage angemessen beteiligt würden? Natürlich würde es in allen Verträgen stehen. Anschließend würden die Verlage erklären, dieser Anteil sei schon "angemessen" im Grundhonorar berücksichtigt. Und die Möglichkeit offen lassen, dass Freie diese Frage ja gerichtlich überprüfen lassen könnten. Worauf natürlich wieder niemand klagen würde, denn sonst würden bekanntlich keine weiteren Aufträge erteilt werden.

Einzig und allein eine Verwertungsgesellschaft würde eine halbwegs reelle Möglichkeit eröffnen, dass freie Journalisten an den Erlösen aus einem Leistungsschutzrecht angemessen beteiligt würden. Und nur eine Verwertungsgesellschaft bietet eine Gewähr dafür, dass das Leistungsschutzrecht nicht zu Lasten der Freien durchgesetzt wird, dass es eben nicht einen Hagel von Prozessen gegen Freie gibt, die ihre eigenen Beiträge noch einmal weiterverwertet haben. Nur eine Verwertungsgesellschaft könnte das notwendige Augenmaß beweisen, den Autoren nicht per Leistungsschutzrecht die Zweitverwertung kaputt zu machen.

Haben die Verlage erst einmal das Leistungsschutzrecht in den Händen, geht die Hatz los. Sie wird alle treffen, gerade auch Autoren, die ihre Beiträge mehrfach verwerten wollen. Wer nicht pariert, wird vielleicht nicht verklagt. Er wird nur in Zukunft keine Aufträge mehr von den Verlagen erhalten. Die kalte Kündigung, wie so oft.

Der Referentenentwurf für das Leistungsschutzrecht ist daher die dritte Sommerkatastrophe. Die Bundesregierung macht sich zum Büttel der Verleger, und ihr Hinweis auf die angemessene Vergütung ist so hohl wie das Angemessenheitsversprechen des gesamten Urheberrechtsgesetzes. Hier wird im Gesetzgebungsverfahren noch erheblich nachzubessern sein, das ist klar. Der DJV wird hier viele Gespräche führen müssen.


4. Ausweg: Der fröhliche freie Journalismus?


Nicht alle sind pessimistisch. Wenn zum beispielsweise noch nie so richtig an das Urheberrecht als Lösung für die Probleme der freien Journalisten geglaubt hat, arbeitet es sich fröhlicher, wie die aktuelle Selbstanalyse eines freien Journalisten zeigt, den wir eher nicht zur Fraktion der Urheberrechtsgläubigen rechnen wollen.

Doch die Aussicht auf den Markt als einzige Lösung scheint uns noch nicht so richtig zu überzeugen, wo sich aktuell die Konjunkturdaten einzutrüben scheinen und damit das übliche Szenario des Rückgangs der Anzeigenschaltungen und damit Seitenumfänge und deswegen Auftragsverlusten für freie Journalisten anzukündigen scheint.

Noch mehr Konjunkturgrau im Bereich der Freien: Das ZDF, auch wenn es gar nicht so sehr von Werbung lebt, hat gerade den Abbau von hunderten von Stellen auch und gerade von Freien angekündigt.

Insofern droht auch noch die vierte Sommerkatastrophe.


Vorwärts und nicht vergessen

Viele freie Journalisten wollen weder die sorglose Fröhlichkeit noch eine Untergangsstimmung akzeptieren. Wie immer bleiben in Sachen Urheberrecht die Bildjournalisten besonders hartnäckig am Ball. Denn für Bildjournalisten war die Mehrfachverwertung ihrer Bilder immer schon ein plausibles Geschäftsmodell, weil Bilder sich anders als Texte mitunter auch noch nach Jahrzehnten gut verkaufen lassen. Gerade die Bildjournalisten werden vom Spruch aus Karlsruhe besonders hart getroffen.

Ein Grund mehr, sich zusammen zu setzen, zu diskutieren und nach vorne zu planen. Auch ein Grund, sich weiter für das Urheberrecht und dessen Reform einzusetzen und gegen Gesetze und Urteile, die nichts mit der Realität im Berufsfeld zu tun haben. Vielleicht kann dabei der goldige Optimismus von Lary Goldbetter helfen, der in seiner - hier auf den DJV-Seiten übersetzten - Rede meinte: "Bevor es besser wird, kommt es erst noch schlimmer." Und dazu aufforderte, sich zu organisieren, sich zusammen zu schließen.

Keine Resignation, Organisation: Der Sommer ist noch nicht vorbei.


Michael Hirschler, hir@djv.de

PS: Mit etwas anderer Systematik wird negatives Sommerfeeling hier aufgearbeitet: "Freie und ihr Sommerloch"


*Wie Juraprofessoren zu Recht (sic!) zu sagen pflegen, gibt es keine Rechtswissenschaft, sondern nur ein juristisches Handwerk, was die Einordnung des Richters in den Bereich wissenschaftlicher Autoren im Bereich der Verwertungsgesellschaft aber vermutlich auch nicht anfechtbar machen wird...
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