Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Überwachung

Aus dem Leben eines journalistischen Idioten

10.06.2015

Unser Stammautor Alexander A. Blog hat uns wieder einmal einen Text geschickt. Wie immer etwas wirr, und was er uns damit sagen will, ist eigentlich auch egal. Vermutlich ist der Text als Satire gemeint.


Kürzlich fand ich vor der Schwelle meiner Wohnungstür ein dickes Paket. Der Anblick beunruhigte mich, denn ich wusste es überhaupt nicht einzuordnen. Es konnte sich nicht um eines der üblichen Ablehnungsschreiben von Verlagen handeln (denn meine stets recht ausführlichen Roman-Manuskripte passen nicht in ein einziges Paket), und auch nicht um Kontoauszüge, denn zurzeit lässt mein publizistischer Umsatz durchaus etwas zu wünschen übrig. Vielleicht ein Attentatsversuch? Wir Journalisten sind ja zunehmend das Ziel von Wahnsinnigen, also sollte jeder misstrauisch sein, auch hier, im scheinbar friedlichen Deutschland!

Todesmutig (freilich auch weil ich etwas hungrig war und ja irgendwie doch den Weg zum Kühlschrank in der Wohnung frei räumen musste) griff ich mir dann doch das Paket und riss es auf. Der Inhalt entpuppte sich als ein Konvolut von meist englischsprachigen Dokumenten. Ein Gefühl der Müdigkeit kam in mir hoch, denn es schien hier wieder mal der Fall zu sein, dass irgendjemand von mir (unbezahlte) Recherche in Aktenmaterial erwartete. Da fand ich aber doch ein erläuterndes Anschreiben ganz unten in der Packung.

Inzwischen am Kühlschrank angekommen und mit einigen dort noch vorhandenen Bockwürsten versorgt, setzte ich mich an meinen Küchentisch (Mittelpunkt meiner beruflichen Tätigkeit seit jeher) und studierte den Brief:

"Sehr geehrter Herr, ich habe Ihnen zahlreiches Material aus geheimdienstlichen Quellen zusammengestellt. Die Kopien beweisen, dass die Geheimdienste bereits vor Jahren zu einer Totalerfassung der Bevölkerung übergegangen ist. Es wird viel mehr überwacht, als in den Medien zuletzt berichtet wurde. Die gesamte Bewegung der Bevölkerung, außerhalb der Häuser, zum großen Teil auch innerhalb der Gebäude, wird aufgezeichnet. Über Flugzeuge, Satelliten, Computer und andere technischen Mittel werden gigantische Datenmengen gesammelt, die eine Echtzeitüberwachung ermöglichen. Das Beweismaterial finden Sie anliegend."

Das Schreiben war nicht unterzeichnet, und es fehlte auch jeder andere Hinweis auf die Quelle. Ei der Daus, dachte ich mir, das ist ja ungeheuerlich. Warum der Hinweisgeber (heutzutage sagt man ja "Whistleblower") sich gerade an mich wandte, erschloss sich mir freilich nicht. Ich schreibe doch eigentlich nur über Kultur und Medien, aber sicherlich nicht über technische Fragen! Nun, während ich die letzten Bockwürste herunterschlang, durchblätterte ich das Material und fand die Aussagen des Absenders dadurch bestätigt.

Schon am nächsten Tag suchte ich den mir bekannten Politikredakteur Stefan *** auf, der bei einem renommierten deutschen Blatt tätig ist. "Alexander, schön Dich zu sehen", rief Stefan, "willst Du Dich mal wieder kostenlos durch unsere Kaffeemaschinen schlawinern?" - "Stefan", reagierte ich ohne jedes Schmunzeln, "ich habe hier wirklich ein Riesending!" Ich warf ihm das Paket auf den Tisch. "Wir werden überwacht! Von unseren Geheimdiensten. Und zwar total, einfach alles wird aufgezeichnet. Eine Riesengeschichte! Kurz - ich biete Euch die Story an!"

Stefan blickte mich an, so wie ein resignierter Vater seinen Sohnemann anblickt, der Nachbars Fensterscheibe zum wiederholten Male mit dem Fußball zertrümmert hat: "Alexander? Du bietest uns eine Story an? Wo ist denn da die Story?"

Ich konnte es nicht fassen: "Stefan, Totalüberwachung, ich meine, viel mehr als dieser Snowden, der Wikileaks-Typs und alle anderen herausgefunden haben! Das ist doch eine irre Geschichte!"

Stefan änderte nichts an seinem Blick. Es ging darin immer noch um den Fußball in Nachbars Fensterscheibe. "Alexander, da ist keine Geschichte drin. Geheimdienste, Überwachung, Snowden, Wikileaks, Amerika, BND, das ist alles durch, das ist alles gelaufen, das interessiert keinen mehr!"

"Aber das ist doch ein großer Unterschied! Komplette Aufzeichnung, an allen Orten, das ist doch was Neues!" protestierte ich verständnislos.

"Alexander, das Thema ist gelaufen. Wir sehen das an den Sonderverkäufen und an den Klickraten. Was die Leute interessiert, sind andere Sachen. Geldfragen, Sport, Celebrity. Also wenn überhaupt zur Überwachung gebracht würde, dann so etwas wie: Wer überwacht eigentlich die englische Königin oder ihr reizendes Urenkelkind?"

"Stefan, ich habe hier hochbrisantes Material und Du erwartest, dass ich mich mit solchen dummen Fragen beschäftigte? Soll ich den journalistischen Idioten spielen?"

"Alexander, Journalismus ist die Kunst, komplexe Sachen einfach anzugehen. Nur so fängst Du die Menschen. Vielleicht findest Du mal heraus, dass der Geheimdienst seine Abhörstation mitten in einem Vogelschutzgebiet hat. Und so ein kleiner süßer Pinguin hat einen Stromschlag bekommen. Das würde die Leute bestimmt mehr in Wallung bringen als Dein Kilo Papiermüll hier!" Stefan schob das Paket mit den Dokumenten geradezu angewidert von sich weg.

"Stefan, wenn Ihr dieses Material nicht bringen wollte, wem meinst Du, kann ich es überhaupt anbieten?" fragte ich hoffnungslos.

"Also die ernsthafte Presse muss Geld verdienen und kann damit nichts anfangen", überlegte Stefan. "Vielleicht das Satiremagazin TITANIC? Nein, die setzen ja auch eher nur noch auf Blödelei, also mit ernsthaft gemeinten Texten geht es da auch nicht..."

"Du meinst, einfach niemand will das haben?"

"Stell es doch einfach so ins Internet. Wobei, da kommt dann auch keiner auf Deiner Seite vorbei. Vielleicht machst Du ganz einfach eine Satire aus dem ganzen Thema..."

"Aber wo, Stefan, soll ich die denn veröffentlichen?"

Stefan blickte mich an. "Ja, stimmt auch, dann halt nirgendwo. Will eben auch keiner haben. Beschwer Dich doch darüber beim Journalistenverband! Ach, halt!" Er schaute plötzlich ganz begeistert, als hätte er eine Lösung gefunden: "Schick doch Deine Satire an den Journalistenverband! Die haben doch bestimmt irgendeine Seite im Internet, wo so ein heftiger Beschwerdekram über Freiheit und Überwachung veröffentlicht werden kann. Die haben doch sicherlich so einen Blog oder so eine ähnliche Abwurfstelle für Texte, die sonst keiner haben will!"

Ich verließ Stefans Büro und kehrte zu mir nachhause zurück. Schon wieder lag ein Paket vor der Tür, doch dieses Mal kickte ich es mit einem verächtlichen Fußtritt die Treppe hinunter. Mochte sich ein anderer damit aufreiben!

Für mich steht jedenfalls fest: Für Satiren stehe ich nicht zur Verfügung! Ich werde mich weder zum Idioten machen noch den Hofnarren spielen, nur um irgendwie im Geschäft zu bleiben. Damit diese Realität einmal angesprochen wird, werde ich mich wegen diesem Vorfall an den Journalistenverband wenden. Und die machen dann sicherlich aus meiner Geschichte ein Riesending, so dass Stefan sich noch wundern wird!


Alexander A. Blog
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