Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

der freienblog

Geschäftsmodelle

Bloggen als Erinnerungsmittel gegen (digitale) Demenz?

18.12.2012

Wenn alle online schreiben, wozu dann noch als freier Journalist bloggen?


Die Demenz, vor allem die Altersdemenz, ist in allen Köpfen. Das liegt sicherlich nicht nur an Götz George, der im berühmten Fast-schon-Klassiker "Mein Vater" das gemeinsam bewohnte Haus abfackelt, sondern durchaus auch an einer Angstkampagne der Altenverwaltungsindustrie. Inzwischen kennt jeder jemanden, der Alzheimer hat und entdeckt bei sich selbst oder Bekannten erste Symptome. Früher hätte man das einfache Vergesslichkeit oder bei Älteren freundlicher Senilität genannt, aber sei´s drum. Natürlich liegt´s auch darin, dass die Deutschen im Durchschnitt immer älter werden, die Rentenzeit ohne größere geistige Herausforderungen aber länger.

Das Thema Demenz und wie dagegen gearbeitet werden kann, ist in den letzten Monaten auch das Thema meiner kostenlos abonnierten Experten-Newsletter. "Experto", "Curendo" und weitere E-Mail-News sind pfiffig konzipierte, sprachlich auf Emotionen geteaserte Mailings, deren Betreffzeile oft die Wirkung eines Koffein-Schocks hat. Gemacht werden sie vom Verlag für die Deutsche Wirtschaft in Bonn, dem gleichen Haus, das uns seit Jahrzehnten auch das Magazin "Geschäftsidee" verkauft. Wehmütig erinnern wir uns in diesem Zusammenhang an die (verpasste) Idee mit der Kuhwaschanlage, die uns einstmals auf dessen Titelseite angedient wurde.

Die Newsletter aus dem Hause Rentrop (dem Eigentümer des Verlags) funktionieren im Prinzip oft recht einfach. Viele Autoren arbeiten kostenlos als "Experten" zu, um sich selbst in ihrem beruflichen Umfeld mit dem Status des Autoren zu schmücken. Die Inhalte werden dann von einem (oft freiberuflichen) Chefredakteur sortiert und poliert, das Ganze an einen Empfängerkreis geschickt, der sich entweder selbst angemeldet hat oder vom Vertrieb sorgfältig ausgewählt wurde. Ziel der Veranstaltung ist der Absatz von Spezialliteratur des jeweiligen Adressatenkreises, beispielsweise Lexika oder Ratgeber.

Verdienen tun in diesem Geschäftsmodell also der Verlag und die dort eingesetzten Redakteure, die Autoren hoffen auf die Renommee-Dividende. So richtig originell ist die Methode allerdings nicht, denn wie auch bei einigen der anderen Verlagsaktivitäten hat man sich ganz offensichtlich von den USA inspirieren lassen. Dort funktioniert das Modell "Crowdsourcing von Content" schon ganz hervorragend. Auch der Wirtschaftsverlag Forbes hat eine Onlineplattform mit Tausenden von Autoren eingerichtet, die für Ruhm, Ehre oder ihr persönliches Geschäft schreiben. Die erfolgreiche Online-Zeitung Huffington Post (Marktwert: 300 Millionen Dollar) lebt von Bloggern, die für "umme" arbeiten. Verdient wird auch in diesem Geschäftsmodell nur von Verlag und (mitunter freiberuflicher) Redaktion.

Was letztlich nur heißt: Wenn Autoren im Digitalen zunehmend kostenlos auftreten, müssen freie Journalisten in der Tat versuchen, die Mittelsmänner, (freien) Redakteure dieser Inhalte zu werden. Gegen die kostenlosen Beitragslieferanten zu bestehen, ist wirtschaftlich gesehen nur in Sonderfällen denkbar, etwa wenn ein absolutes Alleinstellungsmerkmal vorhanden ist.Daher müssen Freie selbst darauf bauen, Informantenkreise, digitale Plattformen etc. einzurichten, bei denen sie mehr die Rolle des Verlegers oder eben zumindest Chefredakteurs spielen. Und andere schreiben lassen.

Warum also sollten freie Journalisten dann überhaupt noch selbst bloggen - statt nach dem Geschäftsmodell der Zukunft "bloggen lassen"?

Womit wir wieder am Anfang dieses Beitrags wären: Eigentlich vor allem als Mittel gegen (digitale) Demenz. Wie schnell verlernt man doch die Bedienung von Redaktionssystemen, wenn man keine Aufträge hat, wie leicht ist es doch, den Überblick über ein Themengebiet zu verlieren, wenn nicht ständig eine Art Logbuch geführt wird. Regelmäßiges Bloggen sorgt für den Fokus, für Erinnerung, gegen den inhaltlichen Kontrollverlust. Und am Ende vielleicht wirklich auch gegen Alzheimer.

Nicht für Geld, sondern als Erinnerungsmittel gegen Demenz: Das (vermutlich) ist die Zukunft des Bloggens. Geld verdienen müssen Sie wohl eher woanders (von kleinen engagierten Fach-, Lokal- und Themenseiten mal abgesehen, die es mit Hilfe treuer Anzeigenkunden irgendwie schaffen).


Michael Hirschler, hir@djv.de
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