Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Perspektiven

Blogger sind die einzigen Journalisten

23.10.2014

"Am dritten oder vierten Prozesstag stellte ich fest, dass außer mir kaum noch ein Journalist vor Ort war."


Die freie Journalistin Dani Parthum hat vom Prozess gegen Verantwortliche der HSH-Bank gebloggt. Für den eigenen Blog, wohlgemerkt. Als Journalistin wurde sie nicht gebucht. Denn beim Norddeutschen Rundfunk war sie als Journalistin nach elf Jahren Tätigkeit gesperrt, weil der Sender fürchtete, dass er durch zu lange Beschäftigung vielleicht eines Tages soziale Verpflichtungen für die Mitarbeiterin hätte, etwa einen Anspruch auf dauerhafte Beschäftigung. Die Journalistin bloggte also ein Jahr lang über den Prozess, ganz ohne Auftraggeber/Abnehmer, "Geschäftsmodell" und Verdienst. Kollegen aus den Medien bedienten sich wiederum gerne an ihren umfangreichen Informationen.

Alles nachzulesen m Beitrag von Claudia Piuntek in der NORDSPITZE von Oktober 2014, dem Magazin der nördlichen DJV-Landesverbände Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Eigentlich müsste eingefleischten Medienmachern das Blut in den Adern gefrieren. Ein wichtiger Prozess über den Umgang einer Großbank mit Geldern wird von keinem Medium dauerhaft begleitet?

Dauerhafte Beobachtung wichtiger Ereignisse nur noch von Überzeugungstätern und Selbstausbeutern?

Einige weitere Beispiele:

Schon seit Jahren beobachtet am Landgericht Hamburg der Blogger, "Künstler" und "Realsatiriker" Rolf Schälike in seinem Blog "buskeismus.de" diejenigen Prozesse, die sich an der Pressekammer des  Landgerichts Hamburg abspielen. Immer wieder moniert er, dass  außer ihm kaum jemand im Publikum an den wichtigen Verhandlungen teilnimmt, die sich um Presse- und Meinungsfreiheit ranken. Immer wieder vermerkt er bitte, er vertrete mit seinen Notizen nur die "Scheinöffentlichkeit", denn mangels Begleitung und Berichterstattung durch Medien sei die so genannte Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung nur eine Scheinöffentlichkeit. Und da auch sein Blog so gut wie nicht zur Kenntnis genommen wird, kann am Ende wohl tatsächlich von einer Scheinöffentlichkeit der Verhandlung gesprochen werden.

Andre Meister von der Netzfreiheitlobby Netzpolitik.de, der mit ähnlichem Starrsinn als Blogger die Arbeit des Untersuchungsausschusses zur NSA-Affäre verfolgte, bekam erst kürzlich amtliche Begleitung während seines Aufenthaltes auf der Zuschauertribüne des Bundestags. Er machte sich eben mit so viel Aufmerksamkeit verdächtig. "Honni soit, qui attentivement y pense", schlecht ist, wer aufmerksam ist, so könnte ein bekannter Spruch des Mittelalters ins  heutige Deutschland übertragen werden. Ein normaler Journalist hat keine Zeit, bedient sich an Blogs von anderen oder liest Zusammenfassungen von PR-Abteilungen und sitzt bei Prozessen und Ausschüssen maximal die ersten zwei Verhandlungstage oder die ersten Stunden des Tages, scheint´s.

Welche Gemeinde, welcher Veranstalter kennt ihn nicht, den Journalisten, der gehetzt auftaucht, nach dem Redemanuskript oder einer Kopie der Tagesordnung verlangt, damit er von Sitzung, Tagung oder Rede irgendetwas vermelden kann, denn er muss bereits zum nächsten Termin weiter? Wer kennt sie nicht, die Veranstaltungen, von denen gar nicht mehr berichtet wird, weil gar kein Journalist kam, weil kein Journalist sich das leisten konnte, für lau oder wenige Cents pro Zeile Zeit und Benzin zu investieren? "In Sitzungen des Stadtrats von Altona sind wir oft die einzigen Journalisten", berichtete in einem DJV-Webinar der Journalist Christoph Zeuch, der seinen Netzdienst altona.info freilich schon längst nicht mehr als "Blog" sieht, sondern als reguläre Zeitung. Und warum sollte es keine Zeitung sein, wenn sich andere wie das Hamburger Abendblatt als Zeitung bezeichnen können, obwohl sie kaum über solche kommunale Sitzungen und Ereignisse berichten?

Recherche will keiner bezahlen, Nachrichten sind schnell zu produzieren, am besten drei Stück pro Tag und nicht weniger. Da braucht sich niemand mehr zu wundern, wenn die Nachrichtenwelt immer konformer und zugleich hysterischer wird, denn ein Journalist schreibt vom anderen ab und bekommt nur deswegen noch besondere Aufmerksamkheit, wenn er aus einer Mücke einen Elefanten macht.

Blogger sind die einzigen Journalisten, geht es einem da durch den Kopf. Oder Blogs sind die neuen Zeitungen.


MH



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