Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Mein neues Leben als journalistische Marke

11.12.2014

Die eigene Nische zu erobern ist nicht immer einfach, zeigt unser Autor


Eines Morgens wachte ich und rief, bevor ich noch aus dem Bett gestiegen war: „Ich muss eine Marke werden!“ Als Journalist heute, da kann man unmöglich nur irgendwelche Beiträge schreiben, von Tag zu Tag nach Neuigkeiten suchen, man muss selbst sozusagen die Nachricht werden! Dann purzeln die Aufträge, denn die Redaktionen brauchen Experten und Leute mit Stallgeruch. So einen gewöhnlichen Journalisten, den will doch heute niemand mehr.

Der Gedanke hatte wohl in der Luft gelegen, oder es war ein Traum, der mich zu dieser Erkenntnis brachte. Gut, vielleicht kam der Anstoß auch von irgendeinem Beitrag in der Postille meines Journalistenverbandes (das Blatt mit dem wenig originellen Titel „journalist“, die Marke „Journaille“ wäre bekanntlich passender für unsere Berufsgruppe, aber diesen Titel verwenden schon die Kollegen des Saarländischen Journalistenverbandes für ihr eigenes Blatt, übrigens ohne Scheiß).

Ein Journalist, der eine Marke werden will, muss einen thematischen Schwerpunkt haben, oder, wie man sagt, weil der heutige Journalismus ein darwinistischer Überlebenskampf wie in der Tierwelt ist, eine Nische besetzen. Für mich war es natürlich klar, was meine Nische ist: Kritische, unerschrockene Schreibe über Kultur und Medien in Deutschland und Russland, immer mit einem gewissen Schuss Ironie, aber nie zu viel! Natürlich braucht ein Markenjournalist auch eine knackige Bezeichnung, ich wählte „Medienblocker“, denn Medienblogger nennt sich heutzutage jeder, und im Wort Blocken steckt ja auch jede Menge zwinkernder Humor und einiger Bezug zum Verhältnis von Deutschland, Russland und den Medien.

Eine Marke braucht aber nicht nur ein Thema und eine Bezeichnung, sondern auch eine Ikonographie, also machte ich mich gleich daran, mir ein Logo zu schaffen (ein Wappen mit dreiköpfigem Adler, ein Kopf vom deutschen Bundesadler und die zwei Köpfe des russischen Doppelkopfadlers) und zudem eine signifikante Farbgebung, passenderweise schwarz-blau-gold, nach dem Motto, dass die übereinstimmenden Farben der deutschen und russischen Staatsfahnen abzuziehen sind, weil bei Journalisten nur die Differenz zählt). Dann richtete ich noch schnell eine Internetseite für mein Journalistenbüro ein, in dem ich unter meinem Wappen und der Überschrift „Medienblocker“ den Markenkern kurz und knapp erläuterte, außerdem ein Foto eines schwarz-blau-goldenen Hummers (nicht vom Tier, sondern vom Fahrzeug, Hammer gesprochen), das ich im Internet gefunden hatte, als „Firmenwagen“, sozusagen als kleines Augenzwinkern. Jetzt noch schnell den „Medienblocker“ auf Twitter und Facebook angemeldet, fertig war die Marke.

Mein journalistischer Siegeszug als Marke konnte beginnen! Als erstes rief ich Stefan an, Kulturredakteur bei einer renommierten Zeitung in Frankfurt: „Stefan, ich habe eine gute Nachricht! Ich bin jetzt eine Marke geworden, aber weil wir so eine lange Geschäftsbeziehung haben, biete ich Dir meinen nächsten Artikel als ersten an! Es geht um Thema ‚Verfall der Geisteskultur in Russland’* und weil ich jetzt Markenjournalist bin, kann ich jetzt auch die Preise anders setzen. Sagen wir pauschal 1.000 Euro für den Text, hast Du noch Fragen?“

„Alexander, hast Du schon wieder getrunken?“ sagte Stefan auf der anderen Seite der Leitung trocken. „1 Euro und zehn Cent wie immer, schick Deine Geschichte rüber, die Überschrift ist bereits sehr gelungen, die Story kommt bei unseren Herausgebern sicherlich gut an! Danke!“ Und legte auf.

Ich war einigermaßen perplex. Hatte Stefan gar nicht erkannt, dass ich ihm gerade eine grandiose Chance gegeben hatte? Egal, als Marke muss ich mich nicht billiger verkaufen lassen als mein Wert! Ich rief Herbert an, Kulturchef eines großen süddeutschen Blattes. „Herbert, Du hast es sicherlich schon über Mediendienste wie Kress oder Turi gehört, ich bin jetzt eine Marke! Aber ich habe Euch dennoch nicht vergessen, gute Kunden lässt man nicht im Stich! Ich habe eine aktuelle Geschichte zum Kulturzerfall in Putins Reich. Gibt´s exklusiv für Euch zum Pauschalpreis von 800 Euro – weil, so als Marke, da arbeitet man natürlich nicht mehr für Zeilenhonorar, Du verstehst!“ (Ich hatte den Preis ein wenig gegenüber dem vorherigen Angebot gesenkt, denn vielleicht lag das Problem in meiner zu optimistischen Kalkulation.)

„Also Herr Blog“, klang es auf der anderen Seite recht distanziert, „ich habe nur irgendetwas mit Marke verstanden von Ihrem Vortrag, mehr nicht. Schicken Sie den Text doch einfach rüber, wie immer!“ – „Marke, es ging in der Tat um Marke. Ihr Blatt funktioniert nicht mehr wie früher. Einfach nur Nachrichten lesen wie früher, das will keiner mehr! Die Leute kaufen eine Zeitung, weil sie Beiträge von Charakterköpfen lesen wollen, deftige Meinungen, von Autoren, denen sie vertrauen. Ihr müsst Markenjournalisten einkaufen, wenn Ihr überleben wollt…“ Weiter kam ich nicht. Auf der anderen Seite war einfach aufgelegt worden. Es schien klar: Die Zeitung war dem Untergang geweiht! Ich empfand tatsächlich so etwas wie Mitleid.

Jetzt rief ich bei Thomas an, der Kulturchef bei einer Redaktion der Deutschen Welle ist. „Thomas, ich habe hier einen Beitrag für 600 Euro“, ich hatte den Beitrag noch ein wenig weiter im Preis gesenkt, vielleicht war es einfach ein Preisproblem, wir leben ja auch im Zeitalter der Deflation und die Deutsche Welle hat ohnehin kein Geld mehr, „der Beitrag geht über Kultur in Russland, und ich sage Dir, der wird ein Renner, denn ich bin inzwischen eine Medienmarke geworden, ein wiedererkennbarer Fels in der Brandung der Kommunikation! Unheimlich wichtig für Euren Sender, angesichts der globalen Medienkonkurrenz, Stichwort CNN, Al Jazeera und Russia Today!“

„Alexander, Du rufst im denkbar ungünstigsten Moment an. Unser Sender kürzt an allen Ecken, und gerade wechselt er sogar seine eigene Marke. Wenn ich hier aus dem Fenster schaue, sehe ich gerade, wie der Schriftzug ‚Deutsche Welle’ demontiert wird. Der neue steht schon unten an der Wand, und kommt morgen noch an die Hauswand!“ – „Welche Marke, Thomas?“ Mir wurde angst und bange, denn es bestand die Gefahr, dass man mir den ‚Medienblocker’ wegnehmen würde. „CCTV Germany“, sagte Thomas knapp, „keine Ahnung, wofür das steht. Vielleicht für Christliches China TV aus Deutschland, das ist ja ohnehin unser neuer Markenkern, kritisch-konstruktive Kommunikation, KKK mit China. Tschüss Alexander, hier hat Deine Marke keine Zukunft, denn Deutschland oder Russland interessieren nicht mehr, oder kannst Du etwa Chinesisch?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er auf.

Ich hatte keinen Moment Zeit, über den Anruf nachzudenken, da schrillte das Telefon. Aha! Meine Strategie zeigte Erfolge! Der erste Kunde rief an, sicherlich weil er durch meine markige Internetpräsenz auf mich aufmerksam geworden war. Schien auch so: „Herr Blog, Sie müssten ganz schnell zu uns in die Agentur kommen, wir haben was für Sie!“ Doch die Stimme war die von Frau Gastlhuber, meiner Sachbearbeiterin bei der Agentur für Arbeit. Hier hatte man keine Wahl. Denn von Frau Gastlhuber hing die Gewährung meiner Grundsicherung ab, mein Arbeitlslosengeld II, da musste man immer sofort auf der Matte sein, wollte man nicht Sanktionen und Kürzungen riskieren. Irgendwie muss ein freier Journalist doch seine Miete zahlen!

Eine Stunde später saß ich in im Büro der Gastlhuber, und sie strahlte mich an: „Herr Blog, Sie sind eine Marke geworden!“ Ich war ganz verdattert, ich konnte es nicht fassen, dass es sogar bei Ihr angekommen war! Sie blickte in ihren Computer. „Hier eine Mail vom Biohof Wusterhausen, die haben in ihrer Personalanforderung geschrieben, dass sie gerne den Herrn Blog wieder hätten, der hätte letztes Jahr so richtig intensiv mitgewirkt! Sie haben da wohl eine Duftmarke gesetzt!“ Sie hielt mir bereits den Vermittlungsschein hin, auf dem die Adresse des Hofes und der Zeitraum für den Ernte-Einsatz standen.

Ja, der Biohof! Ich war gerührt, aber gleichzeitig am Boden zerstört. Ja, ich war eine Marke, aber nur als eifrigster Erntehelfer! Das mit dem Eifer hatte natürlich ganz banale Gründe gehabt. Dieser Grund hatte Iwona geheißen, die polnische Erntehelferin, blond wie der Ostseestrand. Um mit ihr ein wenig flirten zu können, musste ich seinerzeit ihr Tempo halten, also ungefähr dreimal zu schnell arbeiten wie sonst, und überhaupt die gesamten sechs Wochen Erntezeit durchhalten.

Normalerweise meldete ich mich nach dem dritten Tag mit dem Attest eines befreundeten Arztes krank, und der Agentur genügte, dass ich guten Willen gezeigt hatte. Nun hatte ich Iwona zuliebe Rekordeinsatz gezeigt und das am Ende auch noch vergebens, denn der rumänische Vorarbeiter hatte, was ich zu spät bemerkte, auch sein Auge auf sie geworfen und mir die Finalisierung meines genialen Flirtprojekts unmöglich gemacht.

Ich hatte keine Wahl, nahm den Vermittlungsschein und verließ die Agentur. Dieses Mal würde ich mich am dritten Einsatztag wieder krankschreiben lassen, schwor ich mir, egal wieviele neue Iwonas oder auch Dorotas dort zu sehen wären! Es war eine Plackerei ohne Ende, Prekarität ohne Sinn, klassisches Landproletariat wie im 19. Jahrhundert, ein einziger Skandal, und das unter einer „Biomarke“! Ich dabei als geradezu sozialistischer Ernte-Held. Das ging nicht zusammen, zwei Marken waren für mich zu viel. Meine Marke als Medienexperte, verwässert durch die Marke als übereifriger Ernteheini.

Da durchzuckte es mich wie ein Blitz. Das war aber auch eine Idee. Ich könnte eine Art neoproletarischer Schriftsteller werden! Die Ernte als Kulturelement, die Rückkehr der Prekarität, Ausbeutung vor den Toren der deutschen Hauptstadt, der Kulturmensch als Knecht. Da fiel mir ein: Die Marke kritischer Arbeiterschriftsteller war schon von Günter Wallraff besetzt. Ich dachte nach. Ja, Kritik, das war besetzt. Aber das alles - - - sozusagen positiv, das gab´s noch nicht! Denn die Landarbeit hatte ja auch was Positives: Man hatte mal Bewegung, und man lernte andere Arbeiter kennen!

Kaum zuhause, rief ich wieder bei Stefan an. „Stefan, Du musst mir zuhören! Ich habe meine Marke ausgebaut. Ich bin jetzt Arbeiterjournalist, ich gehe raus, zum neuen Landproletariat, aber nicht so verdrossen wie der Wallraff, sondern alles positiv, also ich zeige, wie Europa sich auf den Feldern geistig neu erfindet, eine neue Kultur gezeugt wird!“ (Ich erläutere jetzt nicht, was mir dabei – auch - durch den Kopf ging.)

Stefan sorgte für einen Dämpfer: „Alexander, weißt Du, so etwas nehmen wir, weil unsere Leserschaft so etwas nicht liest. Ob Du negativ oder positiv über die Landarbeiter berichtest, ist vollkommen egal. Niemand interessiert sich für Landarbeiter. Das ist, gestatte mir den Eindruck, den Leuten hier und draußen schlichtweg scheißegal. Wir schreiben für den deutschen Mittelstand, der interessiert sich nicht ernsthaft für das Landvolk, also haben wir uns auch nicht dafür zu interessieren. Das gilt übrigens nicht nur für die soziale Situation von Landarbeitern, sondern auch die des sonstigen Prekariats, übrigens auch für die Lage unserer eigenen freien Mitarbeiter, wie Du an unserer Honorarordnung ja schon gemerkt haben müsstest!“ Er legte auf.

Ich versuchte es beim Blatt aus Süddeutschland, doch an Herberts Telefon meldete sich eine fremde Stimme. „Ihr Ansprechpartner arbeitet nicht mehr für unsere Zeitung. Wir haben umstrukturiert. Wir arbeiten überhaupt nicht mehr mit Redakteuren, sondern nur noch mit freien Autoren, wir sind jetzt eine reine Autorenzeitung.“ – „Wunderbar“, rief ich, „da bin ich vollkommen richtig, ich bin reiner Autor und stehe für die Marke eines positiven Arbeitnehmerjournalismus, und ab 400 Euro pro Beitrag sind Sie bei mir dabei!“ (Natürlich war die abermalige Preissenkung nur als Lockvogelangebot gedacht.) - „Wir kaufen keine Beiträge mehr. Wir erwarten im Gegenteil von Ihnen einen Druckkostenzuschuss. Durch die Veröffentlichung bei uns wird Ihre Marke von uns gestärkt, wir machen ja Werbung für Ihre Marke. Ab 1000 Euro Druckkostenzuschuss nehmen wir Ihren Beitrag! Wir freuen uns, wenn Sie sich für uns entscheiden!“ flötete es, dann wurde aufgelegt. Nun, sagte ich mir, draufzuzahlen, das war in meinem betriebswirtschaftlichen Konzept bisher noch nicht vorgesehen. Das ging so nicht!

Jetzt wollte ich es noch einmal bei der Deutschen Welle, pardon, CCTV Germany versuchen. „Hallo, ich habe einen Beitrag für schlappe 200 Euro“, sagte ich (die erneute Preissenkung war als vorübergehende Schnäppchen-Aktion gedacht), „es geht darum, dass Deutsche und Ausländer in Deutschland gerne hart arbeiten. Das müsste doch in China gut ankommen!“ – „Alexander“, krächzte Thomas auf der anderen Seite, „wir kaufen überhaupt keine externen Beiträge mehr ein. Wir machen jetzt alle Beiträge selbst, und der Intendant macht selbst den Moderator, weil er ohnehin der einzige ist, der seinen neuen redaktionellen Kurs versteht!“ Er legte auf.

Soweit meine letzten Akquisebemühungen bei deutschen Medien. Natürlich gebe ich nicht auf. Eine Marke lebt von Hartnäckigkeit und dem Willen zur Macht! Arbeiterschriftsteller wird man nicht über Nacht, erst recht nicht, wenn man positiv denkt, denn eine solche Marke muss erst mal in die Köpfe! Daran denke ich, während ich die Salatköpfe einsammele, Seite an Seite mit Ruxandra, einer Rumänin, mit roten Haaren wie der Sonnenuntergang in den Karpaten, zugleich immer mit kritischem Blick auf Darko, den kroatischen Vorarbeiter, um dessen libidinösen Schachzüge vorauszuahnen. Zugleich grüße ich jovial zu Gregor hinüber, dem Junior-Chef des Biohofes oben auf dem Trecker.

Denn ich habe mir inzwischen eine neue Strategie ausgedacht. Der Biohof hat überhaupt keine professionelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, noch keine eigene Marke aufgebaut! Wer anders als ein gelernter Journalist, vor allem mit positivem Bezug auf das proletarische Landleben, könnte hier optimale Texte und Bildwelten schaffen? Noch habe ich es nicht geschafft, Gregor zur Seite zu nehmen, dazu ist noch zu viel Distanz, ich hier unten, er dort oben auf dem Trecker. Doch ich weiß, dass ich es schaffen werde. Vielleicht ist das auch mein eigentliches Markenzeichen: Unverdrossen neue Ziele setzen, ohne Rücksicht auf Niederlagen, vorwärts, vorwärts, und alles vergessen!


Alexander Alexandrowitsch Blog


*solche Artikel gehen zur Zeit eigentlich wie geschnitten Brot

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