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Meinungsfreiheit

Neuer Trend zu zusammenhangslosen und aufmerksamsgeilen Satiren?

04.04.2016

Wut ist gut für die Demokratie

"Satire darf alles", meinte Kurt Tucholskys Alter Ego Ignaz Wrobel im Jahr 1919. Satire darf nicht alles, meint dagegen der Medienredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Michael Hanfeld anlässlich eines Beitrags des TV-Unterhalters Jan Böhmermann in dessen Sendung "Neomagazin" im ZDF. Hanfeld bezeichnete Böhmermann sogar als "dümmer als das Presserecht erlaubt".

In dem Gedicht war der international, aber auch im eigenen Land umstrittene türkische Staatspräsident Erdogan in Reimform aufs Korn genommen worden. Die Aussagen über seine Person und sein Verhalten enthielten dabei wüste Beleidigungen der untersten Kategorie. Allerdings wurde dieses Werk gleich nach seinem Vortrag in der Sendung  weiter behandelt, indem seine juristische Zulässigkeit in satirischer Form hinterfragt wurde.

Das ZDF hat die Passage mit dem Gedicht allerdings inzwischen aus der in der ZDF-Mediathek abrufbaren Aufzeichnung der Sendung entfernt.

Der freie Medienjournalist Stefan Niggemeier geht in seiner Kritik sogar noch weiter als die FAZ. Ihm zufolge handelte es sich beim inkriminierten Text gar nicht um eine Satire: "Satire sagt etwas über den Gegenstand aus, mit dem sie sich kritisch beschäftigt", so seine Kritik. Böhmermann sei es in Wirklichkeit nur darum gegangen, Aufmerksamkeit zu erhalten.

Auf Twitter wurde diese Kritik von anderen noch härter formuliert: Böhmermann arbeite auf dem "Aufmerksamkeitsstrich".

Deutschlands Medienkritik ist gespalten. Während auf der einen Seite Empörung über Rassismus in den Versen oder zumindest Unverständnis über Böhmermann formuliert wird, finden sich bei Spiegel Online oder beim Tagesspiegel Stellungnahmen, die den Beitrag als Teil einer satirischen Gesamtinszenierung verstehen.

Die Situation erinnert stark an die Debatte über die satirische Wochenzeitschrift Charlie Hebdo in Frankreich in den Jahren 2012 bis 2014, also noch vor den Anschlägen auf die Redaktion. Die Zeitschrift hatte nicht nur wegen der Veröffentlichung von Cartoons von Mohammed für Empörung gesorgt, sondern auch wegen verschiedenen anderen Karikaturen, mit denen Muslime verspottet wurden. Die Beschäftigung mit dem Islam und die Darstellungen von Religionsangehörigen seien obsessiv und rassistisch, so lautete hier der Vorwurf. Es kam auch zu Fernsehauftritten von Personen, die zunächst versicherten, eigentlich stets für die Zeitschrift eingetreten zu sein, nunmehr aber würden Grenzen überschritten.

Auch die Zeichner Greser und Lenz, deren Karikaturen regelmäßig in der FAZ erscheinen, mussten sich in den letzten Monaten mehrmals Kritik wegen vermeintlichem Rassismus oder zusammenhanglosen Bilderwelten anhören - die Leserbriefspalten der Zeitung waren an mehreren Tagen mit Beiträgen zu ihren Karikaturen gut gefüllt.

Aufmerksamkeitsgeil, obsessiv, zusammenhanglos - mit solchen Kommentaren scheint heutzutage geradezu systematisch versucht zu werden, Satiriker in die Ecke zu stellen. Hinzu kommt dann gegebenenfalls noch der Vorwurf des Rassismus, und damit ist dann alles klar, dass jeder, der sich zu dieser Satire weiterhin bekennt, selbst ein Problemfall ist.

"Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden. (...) Übertreibt die Satire? Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefstem Wesen nach ungerecht...", schreibt Tucholsky.  

Die Sendung von Böhmermann hat ein Gedicht gebracht, das übertreibt und ungerecht ist. Im Gesamtzusammenhang der Sendung war aber klar, dass es sich um satirische Überspitzung handelte. Es ist also - genau wie bei Charlie Hebdo oder Greser & Lenz - abwegig, hier deswegen "Rassismus" zu vermuten. 

Ging es Böhmermann am Ende aber doch nur um Aufmerksamkeit? Der Vorwurf gegenüber Künstlern oder Medienleuten, ihnen ginge es um Aufmerksamkeit, erscheint zunächst einmal so sinnhaft wie die Kritik an Geheimdienstleuten, sie würden nicht erkennbar tätig sein.

Vor allem aber ist eines klar: Präsident Erdogan hat die Rechte der Presse in seinem eigenen Land stark eingeschränkt und verfolgt Journalisten. Echte Meinungsfreiheit ist in der Türkei nicht mehr vorhanden. Zuletzt hat Erdogan sogar versucht, gegen eine Satire in der deutschen Fernsehsendung "extra3" vorzugehen und den deutschen Botschafter dazu einbestellt, eine der schärfsten Formen der Konfrontation in der Diplomatie.
 
Vor einem solchen Hintergrund ist ein Gedicht, in dem der Präsident mit aller Derbheit und Übertreibung kritisiert wird, natürlich nicht einfach zusammenhanglos. Es bringt in überspitzter Form die Wut zum Ausdruck, die viele Bürger im In- und Ausland empfinden, natürlich auch und gerade die Wut von Türken gegenüber dieser Politik. Und zugleich will es zeigen, was im Gegensatz zur Türkei zumindest in Deutschland noch möglich ist oder möglich zu sein scheint. In der Türkei wäre der komplette TV-Sender wegen eines solchen Beitrags von der Regierung geschlossen wurden, so lautete denn auch die Einschätzung eines türkischen Journalisten auf Twitter.

Darf das Ausland Satire über ein anderes Land machen? Tucholsky hatte damit kein Problem. Er bewunderte die französischen Kriegskarikaturisten, die im Ersten Weltkrieg Witze über ihre deutschen Gegner gezeichnet hatten: "Welche Kraft lag in denen, welche elementare Wut und welche Wirkung! ... sie scheuten vor nichts zurück."

Elementare Wut ist gut für die Satire, wusste Tucholsky. Ob der Unterhaltungskünstler Böhmermann mit dieser Wut nur spielt und vor allem auf Aufmerksamkeit zielt, ist deswegen zweitrangig. Zur Meinungs- und Satirefreiheit gehört im Zweifel sogar das Recht, eine Meinung nur zu inszenieren, gerade in einem Satireformat.

Mehr, nicht weniger Wut über die Verfolgung von Journalisten und anderen Bürgern in der Türkei, das erscheint wohl eher angebracht.
Meint jedenfalls

Ihr Rob Robotowitsch*




*Der Redaktion wohl bekannt
 
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