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Türkei

Erdogan dreht ab

19.05.2023

Wer glaubt an Zufall? Eine Woche vor der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei wird erneut Haftbefehl gegen den in Deutschland lebenden Welt-Journalisten Deniz Yücel erlassen. Und in Ankara wird der deutsche Botschafter wegen einer Razzia in Hessen einbestellt.

Deniz Yücel: Haftbefehl. Foto: Patrick Franck Imago

Die Ereignisse überschlagen sich fast: Am Mittwoch durchsuchte die Polizei Räumlichkeiten der türkischen Zeitung Sabah in Mörfelden-Walldorf und beschlagnahmte Speichermedien. Außerdem wurden zwei Sabah-Journalisten kriminalpolizeilich behandelt. Der Vorwurf: Sie sollen einen in Deutschland lebenden türkischen Journalisten ausgespäht und an den Pranger ihrer Zeitung gestellt haben, der für seine Kritik an der AKP-Regierung bekannt war. Außerdem wurden persönliche Daten von ihm, sein Foto sowie seine Adresse veröffentlicht.
Die Erdogan-Propaganda machte daraus mehr: Die beiden Journalisten seien verhaftet worden, weshalb dann auch umgehend der deutsche Botschafter einbestellt wurde. Ziel der angeblichen Festnahmen sei, die türkische Presse einzuschüchtern und zu bedrängen, hieß es aus Ankara. Wenn den deutschen Sicherheitsbehörden etwas vorzuwerfen ist, dann höchstens, dass sie spärliche Informationen an recherchierende Journalisten erst herausgaben, als die türkische Propagandatrommel längst dröhnte.
Einen Tag später der nächste Schlag: Ein türkisches Gericht erließ Haftbefehl gegen den in Deutschland lebenden Welt-Korrespondenten Deniz Yücel. Beleidigung und Verunglimpfung des türkischen Staates und der Justiz, lautet der Vorwurf. Eine Farce ist der erneute Schlag gegen Yücel nur schon deshalb, weil das Gericht Artikel von ihm heranzieht, die von der Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt sind, wie bereits das türkische Verfassungsgericht befunden hatte. Also reine Schikane, also ein erneutes Muskelspiel des Bosporus-Autokraten.
Recep Tayyip Erdogan will sich offenbar im Wahlkampf vor der entscheidenden Stichwahl für das Präsidentenamt als Rambo in Szene setzen, der das Grundrecht der Pressefreiheit mit dem kleinen Finger wegschnippt. Der Wahlausgang wird immer spannender.
Ein Kommentar von Hendrik Zörner

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