News für Freie
Europäische Verbände beraten über freie Journalisten
Unter dem Titel "Verhandlungsmöglichkeiten für atypische Beschäftigungsformen" ging es in Dublin um die längst typisch gewordene freie Mitarbeit in den Medien

Freie Journalisten sind für die Europäische Kommission Unternehmer, und für diese gilt der freie Wettbewerb. Wer sich für die Honorare und Verträge von Freien einsetzt, verstößt aus Warte der Kommission daher gegen das Wettbewerbsrecht. Verschiedene Kartellbehörden in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gehen mit dieser Doktrin gegen Journalistenverbände vor, die sich für die Freien unter ihren Mitgliedern engagieren wollten. So etwa hat die irische Kartellbehörde dem irischen Journalistenverband die Verhandlung von Honorarbedingungen verweigert.
Ganz so schlimm wie in Irland ist es in Deutschland noch nicht. Hier hat der Gesetzgeber den Verbänden der Urheber im Urhebervertragsgesetz das Recht eingeräumt, Honorare und Vertragsbedingungen für die Nutzung ihrer Werke mit den Verbänden der Verleger zu verhandeln. Darüber hinaus gibt der § 12a Tarifvertragsgesetz den Gewerkschaften das Recht, Honorare und Vertragsbedingungen für solche Freien zu verhandeln, die bei ihren Auftraggebern arbeitnehmerähnlich tätig sind. Diese Arbeitnehmerähnlichkeit liegt in der Regel dann vor, wenn Freie mindestens ein Drittel ihres Umsatzes bei einem Auftraggeber und eine bestimmte Zahl von Mindesttagen im (Halb-)Jahr erzielen.
Doch kann ausgeschlossen werden, dass diese deutschen Regelungen unter Druck aus Europa geraten? Die Frage lautet daher: Wie sind Tarif- und Honorarverhandlungen für Freie in Europa in Zukunft noch möglich?
Auf einer Konferenz in Dublin diskutierten jetzt am 8./9. September zahlreiche Vertreter von Journalistenverbänden sowie Organisationen der audiovisuellen Branche. Damit eine solche Konferenz in Europa überhaupt möglich ist, lief die Debatte unter dem Motto „Tarifverhandlungen für atypisch Beschäftigte“. Die spröde Kategorisierung von Freien als „untypische“ Arbeitnehmer hatte dabei einen guten Grund: Hätte es geheißen: „Honorarverhandlungen für Freie“, wäre die Konferenz vielleicht von Beamten der irischen Kartellbehörde auseinandergejagt worden.

Plant Séamus Dooley eine kriminelle Verschwörung?
„Das irische Kartellamt sieht in der Veröffentlichung von Preis- und Honorarempfehlungen eine kriminelle Verschwörung“, kritisierte Séamus Dooley vom irischen Journalistenverband (NUJ). Engagement für Freie hat in Irland bereits zur Durchsuchung der Gewerkschaftsbüros geführt, als handele es sich um kriminelle Organisationen, bestätigte Patricia King von irischen Gewerkschaftsbund.
Auch in Dänemark ging das Kartellamt gegen den Journalistenverband vor, als dieser für Freie aktiv wurde, darüber berichtete Hans Jørgen Dybro. Konkreter Anlass: An einem der größten Medienhäuser war es der Gewerkschaft gelungen, Honorare und Vertragsbedingungen für Freie zu vereinbaren. Das Kartellamt sah das als den Versuch an, ein wettbewerbswidriges Preiskartell für die Leistungen freier Unternehmer zu errichten. Die Folge war das Verbot der Vereinbarung. Als der Journalistenverband gegen das Verbot klagte, wurde es nur teilweise aufgehoben. Das Gericht hielt solche Vereinbarungen für Freie zulässig, die mehr oder weniger als temporäre Arbeitnehmer tätig waren. Für Freie allerdings, die aus Sicht des Gerichts als selbständige Unternehmer einzustufen waren, blieben Regelungen verboten.
Problematisch an dieser Entscheidung in Dänemark: Die Gruppe der „Arbeitnehmer-Freien“ wurde jetzt teurer als der Rest der „Unternehmer-Freien“, der rechtlos blieb. Die Honorare und Vertragsbedingungen dieser „Unternehmer“ sanken dramatisch und setzten damit zugleich die Tarife der „Arbeitnehmer-Freien“ unter Druck, gleichzeitig sank ihr Anteil an den insgesamt Beschäftigten. So sorgte Kartellrecht nicht wirklich für besseren Wettbewerb, sondern nur für eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen generell.
In den Niederlanden agierten Kartellamt und Gerichte nach dem gleichen Muster. Zuerst verbot das Kartellamt alle Regelungen für die Freien, das Gericht hob dieses Verbot für solche Freien aus, die eng gebunden an den Arbeitgeber arbeiten, berichtete Caspar de Kiefte vom niederländischen Selbständigenverband FNV KIEM. Der Rest der Freien blieb dadurch schutzlos.
Rechtlose Freie sind nichts Neues, meinte Gerry Curran vom irischen Journalistenverband. Auch die Hafenarbeiter in den Docks von Dublin vor 100 Jahren waren freie Mitarbeiter ohne soziale Rechte. „Früher haben sich die freien Arbeiter auf den Docks angeboten, heute passiert das auf LinkedIn“, zog Cunnan die historische Parallele. Ein Engagement für die Rechte von Freien sei daher ein ganz normales und zentrales Aufgabenfeld von Gewerkschaften.
Beschäftigungsverhältnisse werden generell atypischer, berichtete Isabella Biletta vom Institut für Arbeitsmarktforschung Eurofund. Dabei bekommt die Erwerbsbiografie der Beschäftigten die Form eines Puzzles aus unterschiedlichen Tätigkeitsformaten. Oft sogar zeitgleich. So üben Beschäftigte einen Teil des Tages klassische Arbeitnehmertätigkeiten aus, den anderen Teil arbeiten sie durchaus wie Unternehmer. Manchmal arbeiten sie direkt für Arbeitgeber, manchmal über Internetplattformen oder Agenturen, über die sie Aufträge erhalten.

Bunte, verwirrende Arbeitswelt: Isabella Biletta (Eurofund) sorgt für Klarheit
Weiter als die Arbeitsmarkforscherin ging der Praktiker Séamus Dooley vom irischen Journalistenverband. „Der Begriff atypische Arbeit macht keinen Sinn, denn sie ist längst typisch geworden“, stellte er fest.
Freie Mitarbeiter werden zunehmend nicht nach Arbeitszeit, sondern für ein Ergebnis entlohnt, berichtete Valentin Döring, Jurist bei ver.di. Für Autoren gebe es damit keine Tagessätze mehr, sondern Autorenhonorare. Darüber hinaus gebe es den Trend zu „Clickworking“ und „Crowdworking“, also Arbeit, die ohne feste Bindung an einen Arbeitsort lediglich über Internetplattformen abgewickelt werde.
Frankreichs Gesetzgebung hat auf die scheinbare Auflösung der Beschäftigungsverhältnisse mit klaren Regelungen reagiert. Wer in den Medien und im Kulturbereich für Honorar tätig ist, gilt als Arbeitnehmer. Er erhält damit die gleichen Ansprüche wie Arbeitnehmer, umgerechnet auf die Dauer seiner Tätigkeit, berichtete Denys Fouqueray von der Schauspielervereinigung SFA.

Arbeitnehmer für einen Tag: Dennis Fouqueray aus Frankreich
In Deutschland werden die Interessen eines Teils der Freien über Tarifverträge für Arbeitnehmerähnliche durchgesetzt. Manfred Kloiber von ver.di erläuterte den Teilnehmer die zusammen mit dem DJV erreichten Tarifverträge für arbeitnehmerähnliche Personen an Rundfunkanstalten. Für die „Unternehmer-Freien“ bliebe der Weg über Vergütungsregeln für Urheber, die von der dju in ver.di und dem DJV vereinbart wurden. Es gebe aber auch erhebliche Probleme bei der Umsetzung vereinbarter Tarifbedingungen und Vergütungsregeln.
Ungerührt von möglichen rechtlichen Beschränkungen zeigt sich der Journalistenverband in Norwegen. Er bietet seinen Mitgliedern einen „Freien-Rechner“ an, mit denen diese ihr Honorar kalkulieren können. „Wir werben dafür, auf Basis von stundenweiser Zeitabrechnung zu kalkulieren“, erläuterte Toralf Sandåker vom norwegischen Journalistenverband. Bisher hat sich das Kartellamt noch nicht bei ihm gemeldet.

Wie sieht es aus mit den Handlungsmöglichkeiten für diejenigen, die als „Unternehmer-Freie“ gelten? Die Verbände der Freien sollten in Europa keinesfalls resignieren, forderte der britische Professor und Rechtsanwalt bei oberen Gerichten (Queen´s Counsel) John Hendy. Er zitierte eine Reihe von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs, aus denen Gewerkschaftsvertreter Honig saugen können, wenn sie mit dem Kartellrecht konfrontiert werden.
„Die Europäische Union verbietet Freien die Ausübung ihrer Grundrechte auf Verhandlung und Streik mit dem Argument freier Wettbewerb“, kritisierte Hendy. Freie und ihre Verbände sollten dagegen politisch, gerichtlich und durch Beschwerden bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorgehen. Er warnte zugleich vor Regelungen im geplanten Transatlantischen Investitionsschutzabkommen (TTIP). Wenn Investoren nach diesem Abkommen Schadensersatz für Wettbewerbshindernisse gegen Staaten geltend machen können, sind Regelungen gefährdet, die Freie schützen.

Auch der auf dem besonderen "Regius"-Lehrstuhl tätige Juraprofessor Mark Bell vom renommierten Trinity College in Dublin zeigte, dass europäisches Recht als Hebel in den Auseinandersetzungen der Gewerkschaften einsetzbar ist. Zunächst sollten die Richtlinien über atypische Beschäftigungsformen herangezogen werden. Dazu zählt Bell die Richtlinie zur Verbesserung der Gesundheit und des Arbeitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristeten Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis, die Richtlinie über Teilzeitarbeit, die Leiharbeitsrichtlinie und die Richtlinie zur Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge. Allerdings gibt es bislang auch Gerichtsentscheidungen, durch die das Gros der Freien von einer Anwendung dieser Regelungen ausgeschlossen bleibt. Diese Rechtsprechung könnte sich freilich in etwas anders gelagerten Fällen in Zukunft auch ändern.
Weiterhin sieht Juraprofessor Bell die europäische Richtlinie zur Gleichbehandlung von Beschäftigten als Ansatzpunkt. Diese Richtlinie gelte auch für die Rechte von Selbständigen. Die unterschiedliche Behandlung von ständigen Arbeitnehmern und unständig eingesetzten freien Mitarbeitern könnte einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot darstellen. Das gelte erst recht, wenn es sich bei den schlechter behandelten unständig ausgeübten Arbeiten um Tätigkeiten handele, in denen die Geschlechterverteilung oder andere Personenmerkmale besonders ungleichgewichtig ausfallen. Hier könne dann von einer rechtswidrigen Diskriminierung der jeweiligen Gruppe gesprochen werden.
Bell machte auch deutlich, dass auch mit fundamentalem EU-Recht argumentiert werden sollte. So gebe EU-Charta der Grundrechte in ihren Artikeln 27 und 28 allen Arbeitern ein Recht auf Information und kollektive Verhandlung der Arbeitsbedingungen. Hierauf könnten sich auch diejenigen Mitarbeiter berufen, die als freie Mitarbeiter beschäftigt werden. Er machte aber auch deutlich, dass die weite Fassung dieser Regelungen problematisch sei. Sein Vorschlag: Gewerkschaften müssten sich auf nationaler Ebene für eine Gesetzgebung einsetzen, mit denen diese Artikel konkretisiert werden.

Gewerkschaften sollten Freie allerdings nicht nur als verkappte Arbeitnehmer ansehen, forderte Barbara Surdykowska von der polnischen Gewerkschaft NSZZ Solidarność. Sie sollten ihr tarif- und sozialpolitisches Engagement auch auf diejenigen Freien ausrichten, die als Unternehmer gelten. Längst liege der Anteil dieser Freien in Polen bei über 50 Prozent.
Die Trennung zwischen „arbeitnehmerähnlichen“ Freien und „Unternehmer-Freien“ sei künstlich und sollte von den Gewerkschaften nicht einfach akzeptiert werden, machte Karen Curtis von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) deutlich. Nach ihren Regelwerken und Entscheidungen gelten sowohl Arbeitnehmer als auch Selbständige als Arbeiter, die schutzwürdig sind. Da alle Arbeiter das Recht auf Organisation und Verhandlung ihrer Arbeitsbedingungen haben, gilt das laut Curtis auch für „Unternehmer-Freie“. Curtis appellierte an die Gewerkschaften und Verbände, ihre Organisation einzuschalten, wenn ihnen Rechte verweigert werden. „Wenn Organisationen bei der ILO Beschwerden gegen staatliche Entscheidungen oder Regelungen einreichen wollen, muss nicht erst der Rechtsweg ausgeschöpft sein“, machte Curtis deutlich.


Wie wollen die Gewerkschaften und Verbände mit den Erkenntnissen der Konferenz umgehen? In zwei parallelen Arbeitsgruppen debattierten die Teilnehmer Thesen und Strategien. Die Ergebnisse: Einerseits sollen die rechtlichen Möglichkeiten bekannt gemacht und ausgeschöpft werden, andererseits soll auch noch mehr für die Organisation der Freien unternommen werden. Denn nur, wenn die Freien eng mit ihren Organisationen vernetzt sind, können sie Angriffe auf ihre Beschäftigungsbedingungen erfolgreich abwehren.

Michael Hirschler, hir@djv.de (Text/Fotos)
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