Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

News für Freie

Grundeinkommen

Institut der Arbeitsagentur schlägt Befristung von Sozialleistungen für Selbständige vor

05.12.2012

„Immer mehr Selbständige müssen aufstocken“, meldeten viele Medien am 4. Dezember nach Bekanntwerden einer neuen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Doch gab es wirklich einen Anlass für den katastrophenschwangeren Unterton? Für eine genaue Lektüre der Studie war in den Redaktionen offensichtlich keine Zeit geblieben.


Zunächst einmal geht es beim „Aufstocken“ um eine steuer- und sozialversicherungsfinanzierte Sozialleistung, die Selbständigen helfen soll, wenn sie mit ihrem Einkommen nicht über die Runden kommen. Sie erhalten Subventionen vom Staat, damit sie auf das Grundsicherungsniveau kommen. Dieses Mindesteinkommen ist umgangssprachlich als „Hartz IV“ bekannt. Für Singles ist es bekanntlich recht wenig, während es bei Familien mit vielen Kindern weit oberhalb von 1.000 Euro liegen kann.

Da es sich um einen Rechtsanspruch handelt, kann die Zunahme der Antragsteller auch an vielen anderen Faktoren liegen. Etwa an der zunehmenden Bekanntheit der Möglichkeit, dass Selbständige ihr schmales Honorar aufstocken können oder am starken Zustrom junger Arbeitskräfte in die schlecht vergütete Glitzerwelt von Medien und Kunst, in der (Schein-)Selbständigkeit Legion ist. Die schnelle Schlussfolgerung "Zunahme Aufstocker = Verschlechterung der Situation der Selbständigen" ist daher ziemlich grob gestrickt.

Grund für Zunahme: Mehr Prüfungen von Mini-Honoraren

Die Studie führt die Zunahme der selbständigen Aufstocker vor allem darauf zurück, dass die Arbeitsagenturen das Einkommen von Hartz-IV-Beziehern strenger prüfen als früher. Damit stellen sie auch öfter selbständige Einkünfte fest. Als solche gelten auch schon Einkünfte unter 100 Euro im Monat. Der Zuwachs an Aufstockern rekrutiert sich laut IAB vornehmlich auf diesen Bereich der Mini-Selbständigen, und das allein, weil diese ihre geringen Einkünfte früher geräuschlos vereinnahmen konnten, also als normale Hartz-IV-Bezieher galten. Jetzt werden ihre paar Dutzend Euro angerechnet, und damit gelten sie schon als Aufstocker.

Etwas mehr dauerhafte Bezieher

Die Studie stellt allerdings auch fest, dass unter den Aufstockern ein zunehmender Teil von Personen zu finden ist, der die Zahlungen als feste Größe im Wirtschaftsplan verbucht. Deren Zahl sei jetzt von einem Fünftel auf fast ein Viertel der Bezieher von Aufstockungsleistungen gestiegen. Von diesem Personenkreis wird die Beantragung der Leistungen offensichtlich nicht zum Anlass genommen, das Berufsprofil oder Tätigkeitsfeld zu ändern. Auch diese „Verstetigung“ des Bezugs könnte also einen gewissen Teil der Zunahme der Aufstocker erklären.

Existenzgründer besonders betroffen

Fast die Hälfte der Aufstocker sind Existenzgründer, konstatiert der Bericht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Studie der Gründungszuschuss der Arbeitsagentur noch nicht so zusammengekürzt und auf einen - oft ins Leere laufenden - Ermessensanspruch reduziert wurde. Vermutlich wird die Zahl der Aufstocker unter den Existenzgründer im Jahr 2012 noch einmal deutlich gestiegen sein.

Förderung von Solo-Selbständigen befristen, mit Idiotentest?

Die Autoren der Studie regen Änderungen der Aufstockungsleistungen gegenüber Selbständigen an, die als Einzelunternehmen arbeiten:

„Nicht tragfähige Ein-Personen-Selbstständigkeiten dauerhaft durch die Grundsicherung zu fördern, ist aber insofern fragwürdig, als damit möglicherweise die Situation von Konkurrenten erschwert wird, die sich ohne Zuschüsse über Wasser halten.“

Diese Ansicht der Autoren dürfte durchaus angreifbar sein. Bisher gibt es im Recht der Grundsicherung - außer beim Einstiegsgeld - kaum befristete oder "verbrauchbare" Leistungen. Hier stellt sich die Frage, ob die Autoren ernsthaft eine befristete oder "auslaufende" Grundsicherung bzw. Aufstockungsleistung für allein arbeitende Selbständige vorschlagen wollen. Worauf das hinauslaufen würde, ist relativ klar: Wer Hartz IV „klassisch“ will, müsste jeweils die Selbständigkeit voll aufgeben und sich als „Arbeitssuchender“ der Arbeitsagentur zur Verfügung stellen. Diese hätte - wie jeder weiß, der das Harz-IV-Land kennt - in der Regel aber keine Arbeit. Die Belastung des Bundesetats würde also steigen: Aus einem bisher teilsubventionierten Selbständigen würde ein vollständig alimentierter Arbeitsloser ohne Erwerbsaussicht.

In diese Richtung argumentiert die Studie auch in ihrer Schlussbetrachtung: „Es scheint es jedoch überlegenswert – sofern eine ausreichende Beschäftigungsfähigkeit der Person besteht – zur Aufgabe der Selbstständigkeit zu raten und diese Personen in Aktivierungsbemühungen voll einzubeziehen. Wenn jahrelang an einer Selbstständigkeit festgehalten wird, die keine oder nur marginale Gewinne abwirft, ist zumindest gründlich zu prüfen, was die Betroffenen dazu motiviert.“

Der Selbständigen-Idiotentest der Arbeitsagentur (Fachjargon: „F-DUP“), jetzt auch für Hartz-IV-Bezieher? Die entsprechenden Überlegungen sollten noch einmal genau geprüft werden, bevor sie in den politischen Raum entlassen werden.

Sind subventionierte Selbständige eine Gefahr für den Markt?


Die Annahme der Autoren, dass die dauerhafte Alimentierung einzelner Selbständiger ein Problem für nicht bezuschusste Wettbewerber sei, ist ziemlich gewagt. Bei dieser Idee steht ein recht veraltetes Bild von dem "einen Markt" im Hintergrund, in dem es begrenzte Positionen gibt und jeder zusätzliche Wettbewerb etwas vom Kuchen wegzunehmen droht. Klar, das ungefähr war die Welt im Mittelalter, als es für Selbständige in der Regel eine Zunftordnung gab und Arbeit ohnehin innerhalb der Familien vererbt wurde.

In Wirklichkeit gibt es "den" Markt für Selbständige in einer dynamischen, sich auf und ab entwickelnden modernen Wirtschaft gar nicht; viele Selbständige schaffen sich ihren Markt erst dadurch, dass sie auftreten, denn manche Arbeit würde vielleicht gar nicht in Auftrag gegeben werden, wenn sie nicht aktiv akquiriert hätten.

Selbständige nicht "schlimmer" als Arbeitslose


Wie dem auch sei, eines scheint auf jeden Fall klar zu sein: Warum subventionierte Selbständige, die zumindest einen Teil ihres Einkommens noch durch Arbeit verdienen, negativer zu bewerten sein sollten als Arbeitslose, die gar nichts verdienen und damit den Staat noch stärker belasten, ist vom IAB nicht schlüssig begründet worden. 


Michael Hirschler, hir@djv.de

News für Freie

Insolvenzen

Sollen wir jetzt noch Medien beliefern? Die sonderbare Welt der freien Journalisten

16.11.12

Nachrichtenagenturen und Traditionszeitungen fallen, schon bricht überall die medienübliche Panik aus. Unruhe auch und gerade bei den Freien.

Vermarktung

Auftraggeber kennenlernen: Die Presseporträts

08.11.12

Sie suchen Auftraggeber in der Zeitschriftenbranche? Einen schnellen Überblick gibt es in den "Presseporträts".

Sicherheit

Training für Einsätze in Krisen- und Kriegsgebieten

08.11.12

Eine freiwillige Versicherung in der Verwaltungsberufsgenossenschaft macht ohnehin Sinn. Erst recht aber, weil sie Trainings für Journalisten anbieten.

journalist.de

Der Kodex

07.11.12

Wie gehen fest angestellte und freie Journalisten miteinander um? Der DJV hat auf seinem Verbandstag einen Verhaltenskodex verabschiedet – der dabei helfen soll, fair zusammenzuarbeiten.

DJV-Verbandstag

Über 140 freie Journalisten auf dem großen DJV-Journalistentreffen

07.11.12

Fast die Hälfte der Delegierten zum großen Jahrestreffen der deutschen Journalisten arbeitet frei. Die Beschlüsse der Tagung widmen sich in vielen Anträgen den Problemen der Freien.

Urheberrecht

freienblog: Warum auch die Bildjournalisten eine Schutzfristverlängerung brauchen

04.11.12

Die Bundesregierung unternimmt etwas für Musiker. Die Bildjournalisten schauen zu.

Bildung

Selbständig mit Kind: DJV-Webinar 9.11.

01.11.12

DJV-Webinar mit Constanze Hacke

Soziales

Dokumentarfilmer: Erschütternd niedrige Einkommen

26.10.12

Die Arbeitsgemeinschaft der Dokumentarfilmer hat die Einkommen der Berufsgruppe untersucht. Ergebnis: Durchweg prekäre Einkommen.

DJV-Mitgliederservice

Sprechen Sie mehr über sich - mit den DJV-Meldungen!

25.10.12

Der DJV stellt für seine Mitglieder neue Mittel zur Selbstvermarktung bereit. Mit einem Kommunikationsfeld können sie Mitteilungen über aktuelle Projekte, neue berufliche Positionen oder auch einfach Adressänderungen mitteilen -...

Absicherung

Heute Webinar: Journalisten in Krieg & Krise

25.10.12

Anmeldung noch möglich

Weiterbildung

Webinar: Verwertungsgesellschaft Wort - alles was Sie wissen müssen

24.10.12

Die VG Wort, das unbekannte Wesen? Der DJV lässt die Experten referieren.

journalist.de

Vorsorgen ist besser

18.10.12

Wie freie Journalisten ihre Rente aufpeppen können, erklärt Michael Hirschler vom Deutschen Journalisten-Verband.

News 793 bis 804 von 858

Schon gewusst?Wer arbeitet, macht Fehler. Wer viel arbeitet, viele Fehler. Das gilt auch für bestens ausgebildete Journalisten. Doch mit Training und Weiterbildung neben dem Job können auch Profis noch besser werden. Der DJV bietet daher zahlreiche Bildungsangebote, Seminare, Tagungen und auch Online-Kurse ("Webinare").

Und wer richtig viel Fehler macht, macht Journalismus. Foto: Hirschler

Schon gewusst?Wer arbeitet, macht Fehler. Wer viel arbeitet, viele Fehler. Das gilt auch für bestens ausgebildete Journalisten. Doch mit Training und Weiterbildung neben dem Job können auch Profis noch besser werden. Der DJV bietet daher zahlreiche Bildungsangebote, Seminare, Tagungen und auch Online-Kurse ("Webinare").

freienblog

Weitere interessante Themen

Newsletter

Cookie Einstellungen