News für Freie
Lebenszeichen in der Medienwüste
Im nordöstlichsten Teil der Bundesrepublik, inmitten von wirtschaftlich verödeten Landschaften, gründet ein Verlag Medien, als sei der Journalismus erst gestern erfunden worden. Die Rede ist vom Katapult-Verlag in Greifswald, der inzwischen nicht nur eine bundesweite Zeitschrift, sondern auch noch eine regionale Onlinezeitung mit monatlicher Druckausgabe herausgibt und nun sogar ein Journalismuszentrum aufbaut.
Katapult baut – Journalismus im Aufbruch: das konnten die Teilnehmenden der DJV-Konferenz „Medienwüste?! – Wie Journalismus im Hinterland gelingen kann“ am 27. Juni in Greifswald live miterleben. Noch strahlt das Verlagshaus und künftige Journalismuszentrum den Charme eines Rohbaus aus, denn die ehemalige Salvador-Allende-Schule ist noch eingerüstet und selbst die Eingangstreppe wirkt eher wie ein Schutthaufen im alten Rom. Doch hinter den Gerüsten versteckt sich im ersten Stock bereits eine funktionierende Büroetage mit funktionierendem Tagungsraum, zeigte sich schnell. Die DJV-Konferenz war dessen unbeabsichtigte Einweihung, denn bis dato war noch niemand auf die Idee gekommen, hier zu tagen.
„Wir haben unsere Projekte immer nach und nach entwickelt, so dass wir viel improvisieren“, betonte Verlagsmitgründer Bejamin Fredrich von Katapult. „Wir sind als Studenten gestartet, die nicht eingesehen haben, warum sie aus Greifswald weggehen sollten, jetzt haben wir über 30 Mitarbeitende.“ Alles ist in Bewegung, das gilt auch für die neue Onlinezeitung, die gerade wieder Jobs ausschreibt. Kern des Geschäftsmodells, das auf Online, aber auch Print setzt, sind soziale Medien, über die der Verlag Unterstützende gewinnt, die dann ein Abonnement abschließen.
Dabei haben es Medien generell nicht einfach, unterstrich Professor Klaus Beck von der Universität Greifswald in einer Präsentation. „Nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch in den USA haben wir einen Rückgang der Zeitungsauflagen um rund 40 Prozent“, unterstrich er. Die Gefahren aus dieser Entwicklung zeigte der Wissenschaftler sehr anschaulich: wo es keine Zeitungen mehr gibt, kommt es zu mehr Korruptionsfällen in der Verwaltung, öffentliche Mittel werden verschwendet, die Infrastruktur leidet. „Onlineformate und örtliche TV-Sender können das Defizit, das durch den Wegfall von Zeitungen auftritt, nicht ausgleichen“, warnte Beck. „Ein lokaler Radiosender in den USA kann im Regelfall von einer einzigen Person betrieben werden, das könnte ein Bachelor-Student der Uni Greifswald locker machen.“ Einfache Lösungen konnte der Professor nicht bieten. Zwar gebe es Ansätze zu gemeinnützigem Journalismus mit Förderung durch Sponsoren und andere, aber auch das schaffe Abhängigkeiten.
Auf langfristige Projekte setzt der freie Journalist Matthias Baerens, um in der Medienwüste ein Auskommen zu finden. So sitzt er an einem Buchprojekt zu einem Flugzeugabsturz in der damaligen DDR. Über Internet findet er Kontakt zu Angehörigenfamilien oder Offiziellen der DDR, der wertvolle Hinweise liefern. Die aktuelle Berichterstattung für Zeitung sei wirtschaftlich nicht interessant, so Baerens, der in der Bürgerbewegung der DDR aktiv war und nach der Wende unter anderem im Rundfunk Arbeit fand.
Mit einer eigenen Zeitschrift über Orte und Menschen in Mecklenburg-Vorpommern versuchen Manuela Heberer und Georg Hundt ihre eigene Nische im Mediensystem aufzubauen. Das „Viel-Sehn-Magazin“ wartet mit ungewöhnlichen Geschichten und anspruchsvollen Fotos auf. Es ist bundesweit an Kiosken und im Abonnement erhältlich. Doch der Weg zum wirtschaftlichen Geschäftsmodell ist steinig. Bislang wurde die Gründung auch mit Mitteln eines europäischen Förderfonds unterstützt, doch diese läuft aus. Die Gewinne, die das Projekt schreibt, sind noch übersichtlich, so dass es derzeit noch ein zeitaufwändiger Nebenerwerb bleibt.
Freie können auch eigene Onlinemedien gründen, zeigte die freie Journalistin Mena Stavesand. In der Onlinezeitschrift „White Lab“ beschäftigt sie sich mit Fragen der digitalen Welt und Trends im Journalismus, die sie verständlich vermitteln will. Auch hier ist das Projekt noch auf dem Entwicklungspfad und eine durchschlagende Wirtschaftlichkeit noch nicht erreicht worden.
Für den Journalismus ist es in der Medienwüste schwierig, gerade wenn es um Informationen geht, die für die Berichterstattung benötigt werden. Die Geheimhaltung von Vorgängen ist mitunter sogar Basis des Geschäftsmodells: die Klimastiftung des Landes wurde nur gegründet, um Sanktionen zu umgehen und die Fertigstellung der Gaspipeline „Nordstream 2“ zu erreichen. Bei Anfragen von Medien verweigert die Stiftung weiterhin die Auskunft und meint, einer gesetzlichen Auskunfts- und Informationspflicht nicht zu unterliegen. In einer Diskussionsrunde mit Landespolitikern und dem Datenschutz im Bundesland zeigte sich, dass in dieser Frage Bewegung möglich ist. „Stiftungen, die unter Einfluss eines Bundeslandes gegründet wurden, unterliegen Auskunftspflichten“, betonte die Mitarbeiterin des Landesdatenschutzes und wies auf kommende Rundschreiben der Behörden hin. Philipp da Cunha von der SPD machte deutlich, dass über Reformen von Landespressegesetz und anderen Informationsrechten nachgedacht werden könne. Der Vorgang Klimastiftung habe jedoch Sondercharakter gehabt. Hannes Damm von den Grünen setzte sich demgegenüber vehement für erweiterte Transparenzrechte ein und kritisierte, dass seine Partei es als Opposition ganz wie Journalisten schwer habe, an Informationen zu kommen. „Bei den Mehrheitsverhältnissen im Untersuchungsausschuss werden unsere Fragen formell abgebügelt“, meinte er. Vorwürfe, die der SPD-Politiker da Cunha nicht stehen lassen wollte. Moderatorin Michaela Skott unterbrach die Debatte aber schnell. Es gehe hier nicht um die Klärung solcher parlamentarischer Auseinandersetzungen, sondern darum, dass die journalistisch Arbeitenden an Informationen kommen. „Denkt doch mal daran, dass Ihr Politiker uns Journalisten die Informationen geben müsst, das ist unsere Aufgabe. Macht nicht, wenn wir eine Anfrage haben, aus dem Thema gleich eine eigene Pressemitteilung, sondern gebt uns die Antwort, und wir veröffentlichen sie dann. Das ist der Deal, so sollte es sein“, appellierte Konferenzteilnehmer Rainer Sobiech an die beiden anwesenden Politiker.
Die Medienwüste lebt, jedenfalls gibt es einige Oasen und viele Themen: das blieb bei vielen Teilnehmenden übrig. Wer das übrigens feiern will, kann vom 21. – 24. Juli 2022 zum Festival des Katapult-Verlags nach Greifswald kommen. Von Hüpfburgen für Kinder bis zur Mitternachtslesung des Verlagsmitbegründers und Buchautors Benjamin Fredrich ist alles dabei.
Michael Hirschler (Text und Fotos)
News für Freie
Hilfsmaßnahmen werden auch 2022 fortgesetzt
Aufträge werden gecancelt, Events werden abgesagt: Corona trifft die Freien schon wieder in aller Härte. Hier die wichtigsten Informationen dazu in Kürze:
Medienhäuser in der Pflicht
Die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten bei der Berichterstattung muss spürbar verbessert und die Pressefreiheit in vollem Umfang gewährleistet werden.
Regierung weiß nichts
Die amtierende Bundesregierung ist fast schon Geschichte, aber nur fast: Ihr Nichthandeln beim Auskunftsrecht der Medien wirkt in die kommende Legislaturperiode hinein.
Spahn missachtete Pressefreiheit
Der Deutsche Journalisten-Verband begrüßt die Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts vom gestrigen Dienstag zum presserechtlichen Auskunftsanspruch auf Bundesebene (BVerwG 6 A 10.20).
Hilfen für Selbständige bis Jahresende 2021 verlängert
Die Bundesregierung verlängert die Hilfen für Selbständige bis zum Jahresende 2021. Das gilt sowohl für die Neustarthilfe Plus als auch die Überbrückungshilfe Plus. Das bedeutet beispielsweise, dass im Rahmen der Neustarthilfe...
Unterlagen erhalten
Das Bundesverteidigungsministerium hat zugesagt, Unterlagen zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr für den Bundestag aufzubewahren. Davon dürften auch Journalisten profitieren.
Transparenz vor der Wahl
Der Deutsche Journalisten-Verband fordert vom Bundesverkehrsministerium noch vor der Bundestagswahl Aufklärung über die sogenannte Dieselaffäre.
Nachvergütungen einfordern
Der Deutsche Journalisten-Verband fordert alle Urheberinnen und Urheber auf, gegenüber ihren Auftraggebern auf Nachvergütung zu pochen, wenn mit ihren Werken unerwartet große Gewinne erzielt werden.
Bescheidene Bilanz
Die Bilanz der schwarz-roten Bundesregierung in der zu Ende gehenden Legislaturperiode fällt für den Journalismus dürftig aus.
Neue Hilfen für Freie
Der DJV informiert in einem aktuellen "Tipps für Freie" über neue Hilfen für Freie angesichts fortdauernder wirtschaftlicher Schwierigkeiten in Zusammenhang mit der Corona-Krise. Link zum DJV-Tipps für Freie (PDF)
Arbeitsstipendien der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst
Mit Hilfe eines schmalen Förderungsprogramms der Bundesregierung versucht die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst in der Corona-Krise zu helfen. Im Rahmen des Programms "Neustart Kultur" werden nach Antrag und...
Auf die lange Bank geschoben
Der Bundestag beginnt seine letzte Sitzungswoche vor der Wahl. Das Presseauskunftsgesetz wird nicht mehr verabschiedet.
Schon gewusst? Der DJV erteilt nicht nur kostenlose Rechtsberatung für Mitglieder, sondern auch kostenlosen Rechtsschutz in Berufsfragen. Für mehrere hunderttausend Euro im Jahr. Rechtsschutz - ein Angebot, das viele andere Verbände nicht bieten.
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