Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

News für Freie

Verbandspolitik

Mehr für Selbständige machen!

09.06.2017

Europas Gewerkschaften in Offensive für die Freien

"Labour stand for all who work", Plakat im Coworking-Café in Warschau. | Foto: Hirschler

Die polnische Regierung hat im Rest von Europa eigentlich keinen so guten Ruf, weil sie unabhängige Medien und auch die Justiz unter Druck setzt. Doch bei der Sozialpolitik hat Polen dem Rest von Europa wohl einen Schritt voraus: seit dem 1. Januar 2017 gibt es dort den gesetzlichen Mindestlohn für Selbständige und diejenigen, die mit freiem Dienstvertrag tätig sind.

Mindestlohn für Freie? Davon träumen viele der Selbständigen im Rest von Europa und selbst diejenigen in wirtschaftlich starken Ländern wie Deutschland. Denn Menschen, die ohne offizielles Arbeitsverhältnis beschäftigt werden, werden bei den Themen faire Bezahlung und soziale Ansprüche oft alleingelassen. Tarifverträge, das Arbeitsrecht und selbst die Sozialversicherung gelten für sie gar nicht oder nur in Grenzen.

Die Zahl der Betroffenen ist hoch, Schätzungen sprechen von jedem siebten Beschäftigten. Europas Gewerkschaften wollen jetzt in die Offensive gehen, um die Rechtslage und soziale Situation dieser Personen zu verbessern. Auf einer Tagung des Europäischen Gewerkschaftsdachverbandes (ETUC) in Warschau am 22./23. Mai diskutierten Gewerkschaftsvertreter europaweite Strategien zur Verbesserung der Situation von Selbständigen. Der DJV ist über seine Mitgliedschaft in der Europäischen Journalisten-Föderation (EFJ), die wiederum Mitglied der ETUC ist, in diese Diskussionen eingebunden.

Über den aktuellen Stand der politischen Diskussion auf europäischer Ebene berichtete dort Thiebaut Weber von der ETUC. Vor allem gilt es, die Ankündigung des Kommissionspräsidenten Juncker über eine neue soziale Säule der Europäischen Verträge dahingehend zu nutzen, indem der europäischen Politik jetzt Vorschläge über eine Verbesserung der Lage der so genannten „atypischen Beschäftigten“, aber auch der Selbständigen gemacht werden sollten.

Doch auch auf der Ebene des nationalen Rechts kann einiges verbessert werden. Im Fall von Polen ist die politische Debatte nicht beim Mindestlohn für Selbständige stehengeblieben. Die Regierung hat darüber hinaus erkennen lassen, dass sie die Lage frei arbeitender Personen auch in anderen Fragen regeln könnte. Das berichtete Andrzej Radzikowski vom polnischen Gewerkschaftsbund OPZZ.

Jetzt stehen die Gewerkschaften in Polen vor einem Dilemma. Wenn sie befürworten, dass die Freien noch mehr Rechte erhalten sollen, etwa wenn Ansprüche auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit oder im Urlaub kodifiziert werden, wird damit die freie Arbeit als eigenständige Rechtsform anerkannt. Damit würden sie eine neue Form des Arbeitsvertrags akzeptieren, der insgesamt erheblich weniger Ansprüche bedeuten würde als der traditionelle Arbeitsvertrag, letztlich ein Arbeitsrecht zweiter Klasse. Weil die Gewerkschaften diesen Weg nicht gehen wollen, möchten sie die Verbesserung der Lage der Freien lieber unter dem Thema der Gesetzgebung zum Zeitvertrag geregelt sehen.

Aktuell wird in Polen außerdem darüber diskutiert, ob und wie Selbständige und freie Dienstvertragsnehmer das Recht bekommen, sich in den Gewerkschaften zu engagieren. Derzeit ist das in Polen noch gar nicht möglich, und die Arbeitgeber wehren sich dagegen, dass Arbeitnehmer und Selbständige in der gleichen Gewerkschaft aktiv sind.

Gleichzeitig läuft eine Gewerkschaftskampagne „Freie gegen Ausbeutung“, um Freie wieder in Anstellungsverhältnisse zu bringen. Hier wird viel mit Slogans und Bildern gearbeitet, um die miserable Situation der Freien deutlich zu machen. Es geht dabei um alle Berufsgruppen, also nicht etwa nur Journalisten, auch „freie“ Bauarbeiter, Krankenwagenfahrer, Taxifahrer, alle versuchen sich zu organisieren.

Rund 1,5 Millionen Personen können in Polen als scheinselbständig qualifiziert werden, berichtete eine Kollegin von der anderen großen Gewerkschaftsvereinigung Solidarnosc in einem weiteren Vortrag. Dabei hätten Arbeitnehmer und die Selbständigen in der Arbeitslosenversicherung die gleichen Rechte. Allerdings werde bei Selbständigen der Versicherungsbeitrag in den ersten zwei Jahren nur auf Basis von 30 Prozent des Mindestlohns berechnet. Das sei unter anderem ein Anreiz, einen Vertrag als Selbständiger zu akzeptieren. Da die Gerichte sich im Zweifel nur nach dem Willen der vertragsschließenden Parteien richten, kann es sein, dass ein Vertrag über eine scheinselbständige Mitarbeit von den Gerichten anerkannt wird.

Über welche Art von Arbeitsverhältnissen kann eigentlich heute noch gesprochen werden? Dearbhal Murhpy vom Internationalen Schauspielerverband zitierte aus einer Studie den Begriff „Portfolio-Arbeiter“, der ein ganzes Spektrum an Beschäftigungsformen praktiziere.

„Die Player auf dem Feld der Wirtschaft schaffen immer vielfältigere Arbeitsformen, es gibt immer mehr befristete, kurze Einsätze“, meinte ein Kollege vom Internationalen Musikerverband. „Die Flexibilität kennen wir schon in der Musik, aber auch in der Unterhaltung, im Journalismus, aber nur in einem bestimmten Rahmen. Nun stellt sich die Frage: muss man die Scheinselbständigkeit bekämpfen oder aber einen neuen Rechtsrahmen für freie Arbeitsformen schaffen?“

Wie es gelingen kann, Selbständige gegen die (Selbst-)Ausbeutung zu organisieren, schilderte ein Vertreter der französischen CFDT am Beispiel der Fahrer des Taxidienstes UBER. „Wir haben zum Boykott von UBER aufgerufen, weil in dieser Auseinandersetzung nicht der Arbeitgeber der erste Gegner ist, sondern der Kunde. Beziehungsweise es ist nur der Kunde, der Druck auf UBER ausüben kann.“ Darüber hinaus war harte Überzeugungsarbeit unter den selbständigen Fahrern angesagt, sich gemeinsam mit der großen, alten Gewerkschaft CFDT zu organisieren und nicht über eines der Dutzenden von Vereinigungen von UBER-Fahrern, die in manchen Fällen nur ein einziges Mitglied (sich selbst) zählten.

Geduld bei der Organisationsarbeit und spezielle Strukturen und Service-Angebote in der Gewerkschaft, die spezifisch auf Selbständige zugeschnitten sind. So profitieren die UBER-Fahrer jetzt auch von einem Versicherungsangebot der CFDT. Wichtig allerdings auch: es müssen möglichst schnell vorzeigbare Erfolge erzielt werden, um die Betroffenen bei Stange zu halten.

Der Autor dieses Beitrags schilderte in einem weiteren Referat, mit welchen Strategien die Situation der Scheinselbständigen verbessert werden kann, während gleichzeitig auch die Interessen der echt Selbständigen vertreten werden müssen. Einerseits konsequenter Einsatz gegen die Scheinselbständigkeit, andererseits auch das Engagement für die echten Selbständigen, eine Doppelstrategie im Interesse aller Beschäftigten.

Wenn es um Selbständige geht, muss es um Service gehen, das betonten auch Vertreter von Gewerkschaften aus Belgien und Finnland. Das kann von einem Onlinedienst für das Rechnungswesen bis zur Versicherung der Dienstleistungen oder des Produktes von Selbständigen gehen.

Engagement und Service, kein Widerspruch, sondern notwendiges Multitasking, wenn es um Freie geht. Die Tagung in Warschau hat den Teilnehmern sehr anschaulich gezeigt, wie die Organisationsarbeit in der modernen Arbeitswelt laufen kann.


Michael Hirschler, hir@djv.de

News für Freie

Coronakrise

Neues zur Neustarthilfe und Gutes für Bayern

19.03.21

Die Neustarthilfe für Freie, die als Solo-Selbstständige und/oder unständig Beschäftigte tätig sind, wird auch an Freie im Journalismus geleistet. Darauf hat der DJV in letzter Zeit bereits mehrfach hingewiesen. Grundsätzlich...

Thementag Freie

Lebhafte Diskussionen über Zukunft der Freien

18.03.21

Am 15. März 2021 diskutierten DJV-Mitglieder über die Zukunft der Freien. In drei Arbeitsgruppen und anschließend im Plenum diskutierten sie Aktionsvorschläge, die ursprünglich dem DJV-Verbandstag 2020 vorgelegen hatten, der...

Gemeinsame Vergütungsregeln

Volltreffer

16.03.21

Eine freie Journalistin wurde um 66.000 Euro reicher. Diese Summe sprach ihr das OLG Nürnberg als Honorarnachzahlung zu. Ihre Zeitung wollte sie mit 14 Cent pro Zeile abspeisen.

Freie

Aufbruch!

15.03.21

Keiner Gruppe im Journalismus hat die Corona-Pandemie so zugesetzt wie den Freien. Wie geht es jetzt weiter? Antworten werden heute beim DJV-Thementag Freie gesucht.

Kulturhilfen

Freie Journalisten nicht vergessen

05.03.21

Der Deutsche Journalisten-Verband fordert Kulturstaatsministerin Monika Grütters auf, bei den geplanten Hilfen des Bundes für Kulturschaffende auch freie Journalistinnen und Journalisten zu berücksichtigen.

Funke-Mediengruppe

Lorbeeren verspielt

23.02.21

Nach dem Hackerangriff auf die Funke-Mediengruppe warten viele Freie immer noch auf ihre Honorare. Geld? Fehlanzeige. Interne Kommunikation? Totalausfall. Ein Trauerspiel.

Bildhonorare

Verlässliche Konstante in Krisenzeiten: mfm-BILDHONORARE 2021 erschienen!

22.02.21

Die jährlich von der mfm ermittelten marktüblichen Honorare für Fotonutzungen in Deutschland werden in der Publikation „mfm-BILDHONORARE“ veröffentlicht. Die Ausgabe 2021 ist ab sofort in der gedruckten Version und auch im...

Umfrage

Soziale Lage in der Film- und Fernsehbranche wird untersucht

19.02.21

Eine aktuelle Branchenumfrage soll die Arbeitsbedingungen und soziale Lage der Berufstätigen in der Film- und Fernsehbranche erforschen. Die Umfrage ist vom Senat von Berlin beauftragt worden. Die Ergebnisse sollen einem...

Corona-Krise

Neustarthilfe kann jetzt beantragt werden

16.02.21

Die Neustarthilfe des Bundes ist für Solo-Selbstständige jetzt abrufbar. Freie, die in Personengesellschaften (z.B. GbR, Partnerschaften) oder Kapitalgesellschaften (z.B. UG, GmbH) arbeiten, müssen sich dagegen noch...

Freie beim MDR

Ausschluss durch die Hintertür

05.02.21

Mit großem Erstaunen hat der Deutsche Journalisten-Verband zur Kenntnis genommen, dass beim Mitteldeutschen Rundfunk entgegen vorheriger Überlegungen eine effektive betriebliche Mitbestimmung der freien Mitarbeiterinnen und...

Zahlen und Fakten

Neue Umfrage zur Situation der Freien

29.01.21

Der Deutsche Journalisten-Verband ruft alle freien Journalistinnen und Journalisten dazu auf, sich an einer Umfrage des DJV zu beteiligen.

Corona-Krise

Update zum Info Kinderkrankengeld

29.01.21

Das DJV-Info zum Thema Kinderkrankengeld wurde aktualisiert, unter anderem durch eine Erläuterung zur Abrechnung der Ansprüche bei sozialversicherungspflichtig beschäftigten Freien. Das Info ist unter djv.de im Format PDF...

News 73 bis 84 von 855

Schon gewusst?Selbständige fallen in der Politik immer noch oft unter den Tisch - das muss aber nicht so bleiben. Der DJV vertritt die Freien, wenn es um Gesetzesvorhaben, Reformvorschläge und Stellungnahmen geht.

Bundestag hinter Gittern. Foto: Hirschler

Schon gewusst?Selbständige fallen in der Politik immer noch oft unter den Tisch - das muss aber nicht so bleiben. Der DJV vertritt die Freien, wenn es um Gesetzesvorhaben, Reformvorschläge und Stellungnahmen geht.

Weitere interessante Themen

Newsletter

Cookie Einstellungen