Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Sozialversicherung

Scheinselbstständigkeit wird wieder einfacher mit der Clearingstelle

11.06.2021

Das Bild zeigt ein Straßenschild mit der Aufschrift Bundessozialgericht

Im Zweifel gilt die Abfahrt nach Kassel zum höchsten deutschen Sozialgericht. Foto: Hirschler

Einfacher mit Freien zusammenarbeiten, ganz ohne Sozialversicherungsabgaben. Das wird jetzt wird einfacher, weil eine Auskunftsstelle der Rentenversicherung reformiert wurde. Die so genannte Clearingstelle der Rentenversicherung kann jetzt auf Antrag von beschäftigenden Stellen oder Mitarbeitenden leichter eine Aussage darüber treffen, wie eine Mitarbeit eingestuft werden muss. Zu den Neuerungen gehört, dass der Antrag schon gestellt werden kann, bevor die Arbeit überhaupt begonnen hat. Wenn es dann bei der tatsächlichen Arbeit anders läuft, müssen sich Beschäftigungsstelle oder die mitarbeitende Person nur innerhalb des ersten Monats nach Arbeitsantritt bei der Rentenversicherung zwecks Korrektur melden. Wenn es später anders wird, ist an der Entscheidung erst einmal nicht zu rütteln. Außerdem kann die beschäftigende Stelle beantragen, dass nicht nur eine einzelne Mitarbeit geprüft wird, sondern eine Feststellung für andere oder künftige Mitarbeitende getroffen wird, die unter den gleichen Bedingungen arbeiten. Diese Gruppenfeststellung sorgt für einige Rechtssicherheit. Sollte sich später bei einer Prüfung herausstellen, dass die Mitarbeit doch nicht als selbstständig einzustufen ist, müssen die Freien nicht nachträglich versichert werden, sondern nur ab der Feststellung der Unselbstständigkeit. Notwendig ist dabei nur, dass die zu Unrecht als selbstständig Eingestuften für diesen Zeitraum eine angemessene eigene Absicherung hatten. Eine Gruppenfeststellung gilt nicht unbegrenzt, sondern immer nur für zwei Jahre, weil sich die Umstände verändern könnten. Die Feststellungen können aufgehoben werden, wenn sich herausstellt, dass die Umstände der Beschäftigung falsch dargestellt wurden. Die Entscheidung gilt immer nur für das jeweilige Beschäftigungsverhältnis, nicht für andere Beschäftigungsstellen. Einige andere Details der Reform betreffen die Möglichkeit einer mündlichen Anhörung im Widerspruchsverfahren für Beteiligte und juristische Detailfragen. Die Änderung ist auf fünf Jahre befristet und damit eine Art Sozialexperiment. Die Deutsche Rentenversicherung wird ihrerseits noch ausführlich über das neue Verfahren informieren.

Ob die Neuregelung zu einer rasanten Zunahme der Scheinselbstständigkeit führt, hängt allerdings von vielen Variablen ab. Beispielsweise könnten die Betriebsprüfdienste der Deutschen Rentenversicherung im Prinzip angewiesen werden, Beschäftigungsstellen intensiver zu kontrollieren, wenn diese mit Gruppenfeststellungen arbeiten. Es könnte auch sein, dass auf Grund der Tragweite dieses Freibriefes die Clearingstelle Anträge jetzt viel intensiver prüfen muss und damit ein Freifahrtschein in die Selbstständigkeit weniger oft vergeben wird. Bisher war es so: wenn sich die Beschäftigungsstelle und die mitarbeitende Person darüber einig waren, dass sie die Mitarbeit als selbstständig präsentieren wollten, wurden sie oft wunschgemäß durchgewunken. So wurde es jedenfalls hinter den Kulissen berichtet. Denn die prüfenden Personen sind auch nur Menschen und müssen sich zudem auf die Angaben der Beteiligten verlassen.

Die Regierungsparteien haben mit der Reform eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, nach der das Statusfeststellungsverfahren verbessert werden sollte. In den vergangenen Jahren hatte die Bundesregierung daher auch mehrfach Sozialrechtsexperten, Gewerkschaften und Verbände der Selbstständigen zu Gesprächsrunden geladen. Hier war kontrovers darüber diskutiert worden, ob eine solche Reform überhaupt notwendig sei. Sozialrechtsfachleute wiesen auf diesen Veranstaltungen und bei Anhörungen im Bundestag darauf hin, dass es im Prinzip keine Probleme bei der Statusfeststellung gebe. „In weit über 99% aller Fälle bereitet die Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit auf Grundlage der vorhandenen gesetzlichen Regelungen, der hierzu ergangenen Rechtsprechung und der hierfür bestehenden Institutionen keine Schwierigkeiten“, führte Dr. Christian Mecke, Richter am Bundessozialgericht, zuletzt auf einer Anhörung im Deutschen Bundestag aus. Zur Clearingstelle meinte er: „Dies betrifft jedoch nur eine verschwindend geringe Zahl aller Erwerbstätigen und führt keineswegs stets zur Feststellung von Beschäftigung. So hat die Clearingstelle bei der Deutschen Rentenversicherung Bund im Jahr 2018 insgesamt 21.527 Bescheide im Rahmen des sog. optionalen Statusfeststellungsverfahrens erteilt.“

Die Änderungen sind bei der Deutschen Rentenversicherung auf Kritik gestoßen. In ihrer Stellungnahme zur Anhörung im Bundestag heißt es, dass mit der Einführung der faktenfreien Prognoseentscheidung wieder mehr Scheinselbstständigkeit möglich wird: „Die vorgesehene Prognoseentscheidung stimmt nicht mit den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen  der  Statusbeurteilung  nach §  7  Absatz  1  SGB IV  überein,  wonach  die Statusprüfung die Gesamtwürdigung aller Umstände erfordert. Dabei kommt den tatsächlichen Verhältnissen maßgebende Bedeutung zu. Wenn sie von den vertraglichen Vereinbarungen abweichen, hat die gelebte Praxis Vorrang. Die vorgesehene Prognoseentscheidung soll demgegenüber die nach Vertragsschluss gelebte Praxis gerade – nach Ablauf eines Monats sogar auf Dauer – ausblenden. Die Statusentscheidung soll stattdessen allein auf dem in den Vereinbarungen zum Ausdruck kommenden Willen der Beteiligten und den Erklärungen zur beabsichtigten Vertragsdurchführung  basieren.  Dabei  zeigen  die  Erfahrungen  der  Vergangenheit, dass sich oftmals signifikante Änderungen in der Praxis ergeben, wenn das Vertragsverhältnis in Vollzug gesetzt wird. Insgesamt entkoppelt die Prognoseentscheidung die Statusprüfung von den gelebten tatsächlichen Verhältnissen und räumt dem Parteiwillen den Vorrang ein.“

Auch die Gruppenfeststellung stößt auf Kritik der Rentenversicherung, weil sie die davon Betroffenen faktisch die Sozialversicherung entziehe: „Mit  der  Verschiebung  des  Beginns  der  Versicherungspflicht  soll  nach  der  Gesetzesbegründung  das  Vertrauen  der  Vertragsbeteiligten  in  die  Richtigkeit  der  Gruppenfeststellung  geschützt werden. Diese Regelung schützt den Auftraggeber vor Beitragsnachforderungen bis zur Bekanntgabe der Statusentscheidung. Für den Auftragnehmer hingegen hat der Vertrauensschutz zur Folge, dass er für die Zeit zwischen  Beschäftigungsbeginn  und  der  Bekanntgabe der Statusentscheidung keine Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erwirbt und damit dauerhaft im Alter eine geringere Rente entsteht.(…) Die aufgezeigten Effekte des Vertrauensschutzes für den Auftragnehmer fallen umso stärker aus, je später eine den Erwerbsstatus klärende Entscheidung erfolgt. In der Praxis werden  Statusfeststellungsanträge häufig  lange  nach  Beschäftigungsaufnahme  gestellt, nicht selten auch erst nach Ende der Beschäftigung. Im letztgenannten Fall würde eine Versicherungspflicht in der Beschäftigung überhaupt nicht mehr entstehen.“

Der Gesetzgeber habe letztlich Pfusch abgeliefert, analysiert die Rentenversicherung, sagt es freilich in vornehmer Form: „Insgesamt bestehen Fragen zu der Ausgewogenheit, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit der gewählten Konstruktion.“

Kritik kam auch von anderer Seite: „Im Zweifel werden inkongruente Verhältnisse und damit die oben bereits beschriebenen „Blaupausen“ zur Vermeidung sozialversicherungspflichtiger  Beschäftigung rechtlich  abgesichert“, kritisierte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Die neue Möglichkeit der Gruppenfeststellungen bezeichnete er als „Blaupausen für die Ausgestaltung als selbstständig  zu qualifizierender  Auftragsangelegenheiten“, die darauf zielten, „der  Solidargemeinschaft Versicherte zu entziehen.“

Einige Verbände haben im Namen der Selbstständigen mit einem gemeinsamen Brief gegen die Reform gewettert, weil sie zu schnell und in der Sache an ihren Wünschen vorbeigehe. Dazu gehört ihrer Meinung nach, dass die Clearingstelle die Selbstständigkeit nicht nur für eine einzige Mitarbeit, sondern generell für alle Beschäftigungen bei anderen Stellen feststellen solle. Dieser Wunsch ist kein Einzelfall: Oppositionsparteien wie die FDP hatten mit einem eigenen Antrag zum Thema im Bundestag ebenfalls gefordert, dass es bei der Clearingstelle eine Entscheidung geben solle, mit der die Selbstständigkeit gleich für alle Tätigkeiten festgestellt werden könnte, also auch zukünftige Beschäftigungsstellen. Solche Forderungen hatte der bereits erwähnte Bundessozialrichter Dr. Christian Mecke freilich in der Anhörung zum Antrag der Oppositionsparteien deutlich kritisiert:

„Der Forderung liegt die irrige Vorstellung der Selbstständigkeit als personenbezogener Eigenschaft zugrunde. Die Annahme "Ich bin selbstständig und deshalb ist jede von mir ausgeübte Tätigkeit eine selbstständige!" findet im geltenden Recht keine Grundlage. Sie entspricht zudem weder der gesellschaftlichen Realität, noch kann sie Basis einer auf der Solidarität innerhalb der Versichertengemeinschaft gründenden Sozialversicherung sein. Bereits heute gibt es zahlreiche Fälle hybrider Erwerbsverläufe, bei denen selbstständige Tätigkeiten und abhängige Beschäftigungen entweder nebeneinander oder im Wechsel nacheinander ausgeübt werden. Eine den Status dauerhaft oder für einen bestimmten Zeitraum perpetuierende (Selbst-)Deklaration als Selbstständiger würde unmittelbar die Möglichkeit eröffnen, auch Tätigkeiten aufzunehmen, die ihrem Inhalt und der Ausübungsform nach Beschäftigungen sind und sich hierbei der Sozialversicherungspflicht zu entziehen. Dies würde erneut zur Verdrängung durch die Sozialversicherung geschützter Arbeit führen, wie dies in der Vergangenheit z.B. in Schlachthöfen der Fall war.“

Was das parlamentarische Verfahren angeht, war es in der Tat recht zügig. Die Regierungskoalition wollte entsprechend dem Koalitionsvertrag noch kurz vor dem Ende der Legislaturperiode „liefern“: dazu wurde ein so genanntes „Rucksackverfahren“ beziehungsweise ein so genannter „Omnibus“ genutzt, bei dem die Änderungen ganz schnell in Zusammenhang mit einem anderen, schon länger laufenden Gesetzgebungsprojekt durch den Bundestag gebracht werden. Daher wurden die erheblichen Einwendungen der Deutschen Rentenversicherung einfach nicht beachtet. Das Prinzip der Regierungsparteien scheint zu sein, dass der Nachweis der Umsetzung ihrer Koalitionsvereinbarung wichtiger ist als Stimmigkeit im Detail.

Beim Deutschen Journalisten-Verband wird die Änderung mit Sorge betrachtet. Die Gremien des Verbandes haben wiederholt wirksame Maßnahmen gegen die grassierende Scheinselbstständigkeit in den Medien gefordert. Mit der jetzigen Reform wird es den beschäftigenden Stellen wieder einfacher, Personen bei der Clearingstelle als frei darzustellen, denn im Prognoseverfahren spielen die tatsächlichen Umstände keine Rolle. Dass dann noch die Feststellung für eine einzelne Person auf ganze Gruppen übertragen werden kann, wird die Beschäftigung von Scheinselbstständigen erleichtern. Natürlich sind Sozialversicherungsträger aufgerufen, hier im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten gegenzusteuern. Dazu könnten die Sonderprüfungen und besonders kritische Untersuchungen gehören, wenn Beschäftigungsstellen Gruppenfeststellungen beantragen und anwenden.

Michael Hirschler, hir@djv.de

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