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Belarus

Diktatur per Kindesentziehung

14.08.2020

Eine freie Jourrnalistin berichtete 2017 von der Drohung mit dem Entzug des Sorgerechts

Repressive Regime haben wenig originelle Methoden, um ihren Fortbestand ohne freie Wahlen zu sichern. Es gibt die mehr oder weniger unverblümten Totschlagsdiktaturen wie in Iran oder Saudi-Arabien, die mit Galgen und Strick oder Erschießungskommando Regimegegner und journalistisch-kritisch tätige Personen umbringen. Manchmal werden sie sogar im eigenen Botschaftsgebäude im Ausland erwürgt und zerstückelt wie im Fall Kashoggi. Es gibt das Zensur- und Sozialpunkteystem in China, das kritische Menschen rechtlich und sozial aussperrt und den immer noch widerspenstigen Rest in seinem großen Gefängnissystem unterbringt. Es gibt das Stummschaltungs- und Kriminalisierungssystem wie in Russland, in dem alle relevanten Medien wie das Fernsehen unter Regierungskontrolle stehen und kritische Stimmen in Nischenmedien nur noch eine Art Narrenfreiheit behalten dürfen, aber auch jederzeit damit rechnen müssen, mit Anklagen wegen Steuerhinterziehung, Mittelveruntreuung oder früherer Verbrechen oder Vergehen überzogen zu werden, oder weil sie als unregistrierte „ausländische Agenten“ gelten. Wer dann immer noch nicht zur relativen Ruhe gebracht ist, fällt auch mal aus dem Fenster oder wird vor der eigenen Wohnung von „Einzeltätern ohne Hintermänner“ erschossen.

In Belarus, einem Land zwischen Polen und Russland, das in Deutschland nur sporadisch wahrgenommen wird, sind die Methoden zur Erhaltung des Systems bislang noch etwas filigraner und dadurch zugleich perfider ausgestaltet. Natürlich stehen auch hier alle relevanten Medien unter Kontrolle der Regierung, aber denen, die mit Kritik in den wenigen kritischen Onlinemedien oder in Auslandsmedien auffallen, wird mitunter sogar mit der Drohung gearbeitet, die Kinder in staatliche Obhut zu nehmen.

Kindesentziehung als Drohmittel des Staatsapparats, das klingt wie eine Räuberpistole aus dem Propaganda-Arsenal des hybriden Kriegs. Doch bereits auf einer internationalen Konferenz, die von der Europäischen Journalisten-Föderation (in der auch der DJV Mitglied ist) am 21. November 2017 in Minsk durchgeführt werden konnte, berichtete eine freie Journalistin von dieser Repressionsmethode. Die Journalistin arbeitete als freie Korrespondentin für den polnischen Auslandssender Belsat, der von Polen aus gezielt nach Belarus sendet, und wenig überraschend die Werte transportiert, die von der polnischen Regierung befürwortet werden, einschließlich der Kritik am belarussischen Staatsführer Lukaschenko. Die Behörden von Belarus werteten diese Tätigkeit als verbotene Tätigkeit, weil der Sender Belsat in Belarus nicht zugelassen wurde und legten saftige Bußgelder gegenüber verschiedenen Freien fest.

Der regierungskritische Journalistenverband von Belarus wertet diese hohen Bußgelder als faktisches Arbeitsverbot für die betroffenen Freien. Er hat deswegen schon vor Jahren eine Kampagne gestartet, die in plakativer Weise davon spricht, dass freie Mitarbeit in Belarus verboten sei. Eine Aussage freilich, die etwas übertrieben ist, weil die freie Mitarbeit für politisch unverfängliche Naturzeitschriften und vergleichbare Medien nach wie vor möglich ist. Gleichwohl führte die wiederholte Kritik des Journalistenverbandes zur Bereitschaft der EJF, dieses Thema im Rahmen der internationalen Konferenz am 21. November 2017 ausführlich zu behandeln.

Die erwähnte freie Journalistin ließ sich von Bußgeldern allerdings nicht abschrecken, sondern arbeitete weiter. Daraufhin wurde sie von den Behörden angesprochen, dass die Fortsetzung ihrer Arbeit schlichtweg unvernünftig sei und ihr Verhalten damit die Frage aufwerfe, ob sie noch zur Erziehung ihrer Kinder (sie war alleinerziehend) in der Lage sei. Eventuell werde eine staatliche Inobhutnahme erforderlich. Dieser Druck führte dazu, dass die freie Journalistin sich zur Aufgabe ihrer Tätigkeit als freie Korrespondentin entschied. Freie Meinungsäußerung oder Kinder, das war keine faire Wahlmöglichkeit.

Der Vorgang erschien im November 2017 noch als extreme Einzelmaßnahme, die fast unglaublich erschien. Doch jetzt, wo die Medien öfter über Belarus berichten, wird deutlich: das Erpressungssystem hat Methode. So erzählten auch Politiker, dass ihnen für den Fall der Fortsetzung ihrer regimekritischen Aktivitäten mit dem Entzug des Sorgerechts gedroht wurde. Die alternative Präsidentschaftskandidatin brachte wohl auch deswegen gleich nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur die eigenen Kinder in Sicherheit, und das heißt in Belarus: außer Landes, ins Nachbarland. Damit war ein Hauptdruckmittel für die Regierung erst einmal außer Reichweite. Wobei nicht auszuschließen ist, dass zu ihrer eigenen plötzlichen Ausreise unmittelbar nach dem Wahltag auch Drohungen geführt haben könnten, die sich in entsprechender Weise gegen die Kinder anderer Angehöriger oder andere Verwandte gerichtet haben könnten. Das kann freilich derzeit nur Spekulation sein.

Mit der Drohung, dass das Sorgerechte entzogen und die Kinder in eine staatliche Einrichtung verbracht werden, lässt sich ein Land natürlich eine Weile steuern. Solche Aussagen werden in der Regel mündlich formuliert und sind kaum nachweisbar. Diese Einschüchterungspolitik hat auch den Vorteil: Verhaftungen und Ermordungen von Kritikern sind nicht erforderlich, und es fehlt an den richtig schlimmen Fakten, für die sich das Ausland interessieren könnte.

Aber eventuell führt gerade dieses Vorgehen jetzt auch zu einer besonderen Solidarisierung in der Politik. Ist es vielleicht kein Zufall, wenn gerade die in Belarus meist mit der Erziehung der eigenen Kinder beschäftigten Frauen jetzt die Proteste anführen? Weil sie wissen, was ihnen droht, oder weil sie sehen, was den Kindern der Oppositionellen droht, und das Solidaritätsgefühl sie nicht ruhen lässt?

Wer heute auf Belarus schaut, sollte in jedem Fall auch im Blick haben, was den journalistisch tätigen Kolleginnen und Kollegen genauso wie den politisch Tätigen jenseits offener Schläge auf der Straße droht: die brutale Einschüchterung bis hin zur Wegnahme der Kinder. Ein Fall für journalistische Solidarität.


AB


PS und zugleich Aktualisierung: Falls jemand der durchaus verständlichen Auffassung sein sollte, es könnte sich bei diesem Beitrag tatsächlich nur um eine Räuberpistole aus dem Arsenal des hybriden Kriegs handeln, dem sei die Lektüre dieses Beitrags auf der belarussischen Nachrichtenseite tut.by empfohlen. Hier wurde zwar nicht auf ein minderjähriges Kind einer Journalistin abgezielt, aber dennoch offenbar eine Art Sippenhaft statuiert: Bei einer Durchsuchung einer der Wohnungen einer Journalistin von tut.by wurde deren volljährige und bereits berufstätige Tochter mit der Behauptung der Beteiligung an unerlaubten Veranstaltungen festgenommen. Dies Tochter arbeitet bei einer Werbeagentur. Gleichzeitig wurden alle Computer aus der Wohnung beschlagnahmt, berichtete die Mutter, die schon zwei Jahre zuvor in einer anderen offensichtlich politisch motivierten Angelegenheit eine Durchsuchung mit Beschlagnahme ihrer Computer erleben musste.

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