Debatte
Machen Auftrags-Plattformen ihre Mitarbeiter platt?
Mitarbeitern wird die Hose ausgezogen
Um auf den Verfall der Preise und die prekäre Lage der Landwirte aufmerksam zu machen, zieht sich ein ganzes Dorf nackt aus und stellt sich für ein Protestfoto auf die grüne Wiese. So erzählt es der Film „Nackte Normandie“, der jetzt in den französischen Kinos anläuft. Die Landwirtschaft ist am Ende, und nur noch spektakuläre Aktionen helfen, so die Meinung des Bürgermeisters der Ortschaft.
Über Preisverfall und mangelnde Perspektiven klagen auch Mitarbeiter von internetbasierten Plattformen, die Arbeitsaufträge vermitteln. Die Vermittlung von Aufträgen über Plattformen ist Alltag bei Lieferdiensten wie deliveroo oder foodora oder Taxidiensten wie Uber oder Lyft. Im Bereich des freien Journalismus gibt es Dienste wie textbroker.de oder content.de, eine große Rolle spielen diese Plattformen zwar noch nicht, allerdings gibt es immer wieder einmal neue Versuche, weitere Dienste zu etablieren. Daher müssen sich auch freie Journalisten mit dieser Entwicklung auseinandersetzen.
Der Preisdruck wird durchaus von den Plattformen selbst erzeugt. „Ich war jahrelang Mitarbeiter von Uber. Die Firma hat jedoch mehrfach die Preise für die Fahrgäste abgesenkt, wodurch ich meine Unkosten nicht mehr erwirtschaften konnte“, klagt beispielsweise ein Taxifahrer aus Zagreb, der Hauptstadt von Kroatien. Er sah sich deswegen gezwungen, die Mitarbeit für Uber aufzugeben und wieder für einen klassischen Taxidienst zu arbeiten.
Preisverfall und Selbstausbeutung: Müssen sich die Mitarbeiter von Plattformen zu ähnlich drastischen Aktionen entschließen wie die Landwirte mit der fiktiven Protestaktion von „Nackte Normandie“? Vielleicht noch nicht: in Brüssel trafen sich jetzt über 150 Vertreter aus europäischen Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Politik und Verwaltung, um über die Möglichkeit sozial fair gestalteter Plattformen zu diskutieren.
Die Debatte über Plattformen beginnt mit Verhaltensregeln, die sich Plattformen selbst auferlegen oder die von Gewerkschaften aufgestellt wurden. In Brüssel stellte Philipp Benkler von der Test-Plattform Testbirds den Verhaltenskodex der Firma vor. Six Silbermann von der Industriegewerkschaft Metall, in der auch freie IT-Techniker organisiert sind, präsentierte den von einigen Plattformen aufgestellten Verhaltenskodex für Crowdsourcing-Arbeit. Hier sind auch Anregungen der IG Metall mit eingeflossen, so Silbermann. Ombudsleute in den Betrieben sollen für dessen Einhaltung sorgen. Einen weiteren Kodex präsentierte Jamie Woodcock von der FairWork Foundation.
Wie können sich Plattformarbeiter für die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einsetzen? Ein belgischer Mitarbeiter des Lieferdienstes deliveroo warb dafür, dass sich die Mitarbeiter zunächst untereinander vernetzen müssen. Dabei bestehe stets die Gefahr, dass das Unternehmen mit der Kündigung reagiere. „Dabei kann man die eigene Kündigung gar nicht feststellen, weil man innerhalb der Plattform einfach deaktiviert wird“, berichtete der Fahrer.
Die Gewerkschaften müssen für die Mitarbeiter der Plattformen aktiv werden, aber es brauche auch neue gesetzliche Rahmenbedingungen, forderte Peter Ahrenfeld Schrøder vom dänischen Gewerkschaftsdachverband.
Wie können Gewerkschaft konkret agieren? Einerseits können sie innerhalb der Unternehmen gegen die Ausgliederung von Arbeit und die Vergabe von Aufträgen an Crowdsourcing-Plattformen eintreten. Gleichzeitig müssen sie aber auch die Mitarbeiter der Plattformen selbst organisieren und vertreten. Für eine solche Doppelstrategie warb Sarah Bormann von ver.di, die wie die IG Metall ebenfalls IT-Techniker und andere Plattformarbeiter vertritt.
Eine Strategie, die mitunter Früchte trägt. So verhinderte die Gewerkschaft beispielsweise bei der französischen Post ein neues Angebot, mit dem die Postkunden die Wahl bekommen sollten, ob sie eine bestimmte Dienstleistung über die Post direkt oder über den Mitarbeiter einer Auftragsplattform erbracht werden sollte, so die Vertreter der französischen Gewerkschaft CFDT.
Bildet Betriebsräte in Plattformen, es gibt jede Menge zu tun! So der Appell einer Betriebsrätin von des Lieferdienstes foodora. Neun Betriebsräte aus dem Kreis der Angestellten versuchen sich nicht nur um die "Festen" zu kümmern, sondern auch die Probleme der Freien im Blick zu behalten.
Auch die europäische Politik will das Thema Plattformen nicht aus dem Auge verlieren, warnt aber davor, die Mitarbeit für Plattformen als gänzlich neues Feld für politische und gesetzliche Maßnahmen zu sehen. So jedenfalls die Meinung von Joachim Schuster, Europaabgeordneter der SPD. Schon seit langem gebe es in Europa Plattformen, über die Arbeit vermittelt würde. Deswegen gebe es beispielsweise Gesetzgebung hinsichtlich der Mitarbeit in Zeitarbeitsfirmen. Wenn Plattformen ihren Sitz außerhalb der Europäischen Union hätten, würde das nichts an der Möglichkeit ändern, diese in Haftung zu nehmen. So könnten Regelungen wie das Handelsgesetzbuch oder das Entsendegesetz dazu herangezogen werden, um ausländische Firmen dazu zu verpflichten, ladefähige Adressen und Ansprechpartner innerhalb der EU vorzuweisen.
Intensive Debatte: Joachim Schuster und Stefan Olsson
Die europäische Verwaltung überlegt allerdings schon, wie sie den Rechtsrahmen für Plattformen besser regeln kann. Dabei schwebt ihr eine neue Definition des Arbeitnehmerbegriffs vor, wie der Direktor der Generaldirektion Beschäftigung Stefan Olsson berichtete. Gleichzeitig berichtete er, dass er hier auf Widerstand ausgerechnet der Gewerkschaftsseite stoße. Diese befürchte eine Verwässerung des starken Arbeitnehmerbegriffs, der in einigen europäischen Ländern – anders als in den übrigen – bereits vorhanden ist. Joachim Schuster entgegnete auf diesen Vorstoß, dass eine Regulierung von Plattformen nicht über den Begriff des Arbeitnehmers laufen müsse. Dieser Begriff sei geklärt. Geregelt werden müssten insbesondere die Arbeitsbedingungen, forderte Schuster.
Zum Abschluss der Veranstaltung bemühte sich dann ein Lobbyist der Firma Uber darum, die Arbeit seines Auftraggebers doch noch in ein positives Licht zu stellen. Plattformen wie Uber gefährdeten das Normalarbeitsverhältnis nicht, seien unkompliziert, ließen den Mitarbeitern alle Freiheit und fördeten ihre Reputation, so Uber-Public-Policy-Mann Guy Levin. Außerdem arbeite man durchaus mit Mitarbeitern zusammen und fördere sogar die Gründung von eigenen Mitarbeitervereinen.
Kritik an dem von jedem Schimmer der Selbstkritik freien Vortrag blieb freilich nicht aus. So hielt ihm ein Vertreter der belgischen Transportgewerkschaft vor, dass Uber überhaupt keine Plattform sei, sondern ein Taxidienst, der ohne die notwendigen Genehmigungen operiere. So verwies der Gewerkschaftsmann auf das Ende 2017 ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs, mit dem die Eigenschaft als Taxidienst festgestellt worden sei. Der Uber-Vertreter parierte sofort, dieses Urteil habe nur für das Angebot „Uber Pop“ gegolten, während das jetzige Angebot nicht betroffen sei. Die Vertreter des Europäischen Gewerkschaftsverband sehen diese Frage freilich anders und fordern von Uber Änderungen der Geschäftspolitik.
Was muss, was kann gemacht werden? Darüber diskutierten während der Veranstaltung verschiedene Arbeitsgruppen. Einer der Schwerpunkte der Diskussion hier war die Frage, wann Mitarbeiter noch als selbständig gelten und ab welchem Punkt sie als Arbeitnehmer gelten sollten. In jedem Falle müsste allerdings auch eine Lösung für diejenigen gefunden werden, die am Ende tatsächlich als Selbständige anzusehen sind. Ein Vorschlag dazu lautete, von Plattformen eine Abgabe nach dem Prinzip der Künstlersozialversicherung zu erheben, über die dann Sozialversicherungskosten der Mitarbeiter finanziert werden könnten. Eine richtig einfache Lösung konnte allerdings kein Teilnehmer nennen.
Klar ist nach der Veranstaltung: die Debatte darüber, was von Plattformen erwartet wird und wie sie sozial fairer gestaltet werden können, geht erst los. Klar ist allerdings, dass etwas geschehen muss, damit sie nicht zum weiteren Preisverfall und zu grenzenloser Konkurrenz beitragen.
Was passiert übrigens am Ende im aktuellen Kinofilm „Nackte Normandie“, nachdem es gelungen ist, das Protestfoto der nackten Gemeinde anzufertigen? Überraschenderweise lässt der Film diese Frage offen. Vermutlich erschien es dem Regisseur dann doch zu gewagt, eine solche Protestaktion als wirklich wirksame Maßnahme zu präsentieren. Allerdings dürfte sie auch nicht weniger wirksam sein als ein netter Verhaltenskodex, der mehr oder weniger unverbindlich auf irgendeiner Internetseite klebt.
Was wirklich greift und die konkrete Situation der Mitarbeiter verbessert, darüber werden die Gewerkschaften wohl in nächster Zeit noch weiter diskutieren müssen. Der DJV beteiligt sich an diesen Debatten über die Mitarbeit in der Freelance Rights Expert Group (FREG) der Europäischen Journalisten-Föderation (EFJ, wiederum Mitglied des Europäischen Gewerkschaftsdachverbandes ETUC).
Michael Hirschler, hir@djv.de