Deutscher Journalisten-Verband Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten

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Causa Reichelt

Informantenschutz abgeschafft

12.07.2023

Das Landgericht Berlin hat mit einem Urteil gegen Ex-BILD-Chefredakteur Julian Reichelt faktisch den Informantenschutz abgeschafft. Der Richterspruch darf nicht Bestand haben.

Julian Reichelt hat gegen den Verleger der Berliner Zeitung Holger Friedrich Klage eingereicht. Darin geht es um Friedrichs Information an Springer, dass er von Reichelt brisante Informationen erhielt, die er nicht veröffentlichte. Friedrichs Hinweis war Wasser auf die Mühlen des Springer-Konzerns, der sich sowieso im Rechtsstreit mit seinem früheren Angestellten befindet. Der Deutsche Presserat rügte Friedrich, in Medien wurde er als "Informantenverräter" gebrandmarkt.
Das Landgericht Berlin kam nun zu einem ganz anderen Ergebnis (Az. 67 O 36/23). Danach war Friedrich nicht zum Schutz seiner Quelle Julian Reichelt verpflichtet, weil Friedrich und Reichelt keine "ausdrückliche Geheimhaltungsvereinbarung" abgeschlossen hätten. Wörtlich heißt es in dem Urteil: "Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung reicht es im streitgegenständlichen Kontext nicht aus, dass der Informant von der Geheimhaltungspflicht oder der freiwilligen Geheimhaltung durch einen Journalisten oder einen vergleichbaren Informationsnehmer ausgeht und sich deshalb dafür entscheidet, sich ihm anzuvertrauen." Und die Bestimmungen des Pressekodex werden mit einem Federstrich als "rechtlich unverbindlich" beiseite geschafft.
Man reibt sich die Augen und fragt, auf welchem Planeten die Richter eigentlich leben, die einen solchen Blödsinn urteilen. Informant und Medium müssen also erst einen Geheimhaltungsvertrag abschließen, bevor die Informationen weitergereicht werden? In welcher Wirklichkeit soll das, bitteschön, passieren? In der von Massenmedien und Rechercheverbünden jedenfalls nicht. Und en passant auch noch den Pressekodex mit einem kw-Vermerk zu versehen, ist schlicht eine Unverschämtheit und negiert die Bedeutung der journalistischen Selbstverwaltung, für die der Deutsche Presserat steht.
Man kann nur hoffen, dass Julian Reichelt gegen das Urteil Berufung einlegt und sich eine höhere Instanz mit dem Fall erneut beschäftigt. Sonst wäre ein praktikabler Informantenschutz in Deutschland erledigt - zur Strecke gebracht von Berliner Richtern, die offenbar die Tragweite ihres Urteils über den Fall Reichelt hinaus nicht sehen.
Ein Kommentar von Hendrik Zörner


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