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Die Chicago Sun-Times - und wir

10.06.2013

30 Bildjournalisten verlieren ihren Job, darunter ein Preisträger des Pulitzer-Preises 1982 - nach über 30 Jahren Mitarbeit. Die Chicago Sun-Times, eine große regionale US-Tageszeitung mit einer Auflage von rund 470.000, begründet die Massenentlassung mit geänderten Bedürfnissen der Redaktion.


Statt "nur" auf Fotos setze die Zeitung in Zukunft auf multimediales Material, vor allem auch Videos. Das werde man sich von Freien beschaffen. Für die angestammten Fotografen sei da kein Platz.  Die Betroffenen demonstrieren vor dem Verlagsgebäude, doch ihnen bleibt wenig Hoffnung. Kritiker halten die Argumente für vorgeschoben, in Wirklichkeit gehe es der Zeitung, die 2009 in ein Insolvenzverfahren geriet, allein um Kostenoptimierung zu Gunsten der Eigentümer. Qualität spiele keine Rolle mehr, die Verlagseigentümer und ihre Geschäftsführer seien längst von einer geradezu feudalistischen Verachtung der Konsumenten geprägt.

In Deutschland reagieren viele Bildjournalisten eher überrascht über die Tatsache, dass die Zeitung noch eine derart große Zahl von angestellten Bildreportern hatte. Zwar gibt es diese immer noch hier und da, und doch sind sie zur Seltenheit geworden. Die deutschen Tageszeitungen haben in den letzten zwanzig Jahren zahlreiche angestellte Bildjournalisten in die (Schein-)Selbständigkeit gedrängt, manches Mal auch zur Gründung einer Bildagentur genötigt.

Zeitweise forderten die Verlage sogar, auch die Bildredakteure sollte aus den Tarifverträgen gestrichen werden, damit sich ja keiner der scheinbar Freien auf eine Festanstellung klagen könne. Diejenigen, die als Agenturen zuarbeiteten, durften dann erleben, dass eine Strukturreform nach der anderen kam, und Bildhonorare über Nacht um die Hälfte gesenkt werden sollten. Manchmal konnten Proteste des DJV und anderer helfen, oft genug zogen die Verlage ihre Strategie durch. Gleichzeitig drückten sie den "Text-"Freien oder auch den Redakteuren die Kamera in die Hand, um Kosten für externe Bildjournalisten einzusparen.

Längst sind viele Redakteure selbst (wieder) zu Bildjournalisten geworden, weil sie von Terminen ganz selbstverständlich Bildmaterial mitbringen (müssen), weil es sonst eben keine Bilder gibt, mangels Bildhonorar-Etat oder sogar wegen direkter Anweisung von Geschäftsführungen, die nur dpa-Bildmaterial sowie kostenlos gelieferte Fotos von Behörden und Vereinen in ihren Blättern sehen wollen. Denn Redakteure sollen heute öfters als früher draußen unterwegs sein, so auch die Forderung eines Verlegers einer bedeutenden Regionalzeitung.

Doch genau hier ist die Parallele zur Chicago Sun-Times: Die deutschen Redakteure, die glauben, ihr Job sei heute sicherer, weil sie jetzt auch viel "draußen" unterwegs sind und brav mitfotografieren, könnten eines Tages ganz genau so überrascht von der Mitteilung überrascht werden: Danke, dass Ihr so viel gemacht habt, aber wir brauchen Euch nicht mehr, denn "draußen" machen in Zukunft ganz andere. Beispielsweise Mitarbeiter von Feuerwehren und anderen Behörden, die mit hochwertigen Kameras auf Kosten des Steuerzahlers Material an die Medien liefern. Manchmal auch "nur" auf Nachfrage, doch die besteht ständig.

Journalistische Unabhängigkeit von Behörden(fotografie)? Spielt keine Rolle. Denn die Verachtung für den Medienkonsumenten wird zunehmend auch in Deutschland praktiziert. "Deine hohen journalistischen Ansprüche nehmen die Amöben da draußen gar nicht wahr", soll beispielsweise ein Verantwortlicher eines großen Privatsenders in internen Runden von sich gegeben haben, berichtete ein arbeitsloser, "hartzender" Journalist, im Blog "imageandview" nachzulesen.

Die Chicago Sun-Times ist überall, auch in Deutschland. An Massenentlassungen, stagnierenden und sinkenden Löhnen und Honoraren wird deutlich: Die Wertschätzung journalistischer Arbeit und damit der Mitarbeiter war nie so gering wie heute. Da der Leser aber gar nicht so dumm ist, wie Geschäftsführungen unterstellen, werden Zeitungen zunehmend abbestellt.

Zeitungsverleger, die stolz darauf sind, dass ihr Layout bzw. ihr Namensschriftzug immer noch so lautet (und oft auch noch so aussieht) wie anno 1850, können vielleicht auch gar nicht gerettet werden. Antiquierte Titel wie "Anzeiger", "Boten" und andere Bezeichnungen anderer Jahrhunderte zeigen, dass viele Blätter eher nie mehr in der Jetztzeit ankommen wollen. Während in der Netzwelt in Plattformen gedacht wird, sehen sich Verlage immer noch als gnädige Monopolisten der Wissensvermittlung. Egal was und wie im Blatt steht, egal wer und wie viele es produzieren, ob (professionelle) Fotos drin sind oder nicht, es werden sich schon Leser finden, so der Glaube.

Der Leser dieser Zeilen wartet jetzt natürlich auf irgendeinen weiterführenden, ermutigenden, mobilisierenden Satz zum Schluss. So wie in den (meist unsäglichen) pathosgefüllten ARD-Kommentaren. Er kommt aber nicht. Vielleicht fällt Ihnen selbst einer ein. Unten, unter Kommentaren. (Auch) weil wir (im Gegensatz zur Verlegerschaft) noch unterstellen, dass der Leser schlauer sein könnte.


MH

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